Weltklimarat-Sonderbericht : „Noch nie gab es eine solche globale Herausforderung“
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Wie die Energiewende schaffen? Bild: Imago
Der Weltklimarat hält es für möglich, die globale Erwärmung doch noch auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dafür wären allerdings politische Wunder nötig. Ihre Vision knüpfen die Wissenschaftler daher an radikale Bedingungen. Eine Analyse.
„Eine Begrenzung der weltweiten Erwärmung auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau ist nicht unmöglich.“ Mit diesen Worten des IPCC-Vorsitzenden Hoesung Lee beendete der zwischenstaatliche Weltklimarat seine sechstägige Sitzung in Incheon, Südkorea. Der Rat legte die Zusammenfassung des von mehr als neunzig Wissenschaftlern aus 41 Ländern verfassten IPCC-Sonderberichts zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels vor. Wie üblich wurden die exakten Formulierungen in diesem „Summary for Policy Makers“ mit den Delegierten der an der Klimakonvention beteiligten 195 Staaten abgestimmt. Am Ende war das Fazit für viele Beobachter überraschend positiv, allerdings schreibt der Rat auch: „Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen bedarf es schneller, weitreichender und bisher beispielloser Veränderungen in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen.“
Die Vorstellung der 33-seitigen Zusammenfassung durch die federführenden Autoren der drei IPCC-Arbeitsgruppen mündete immer wieder in Appelle an die Adresse der nationalen Klimapolitik, die bisher noch zu wenig an Klimaschutzmaßnahmen geliefert hat. Der politische Prozess der Transformation hin zu einer klimafreundlichen Weltgemeinschaft müsse „dringend beschleunigt werden“, sagte Hoesung Lee. „Dabei zählt jedes bisschen weniger Erwärmung“, sagte er. Vor allem mit Blick auf den Ende des Jahres in Kattowitz in Polen stattfindenden Klimagipfel appellierten die Wissenschaftler, Nachbesserungen der für den Pariser Klimavertrag abgegebenen nationalen Klimaziele auszuhandeln. Bisher sei man noch lange nicht auf dem Weg in eine 1,5-Grad-Welt, vielmehr steuere man auf mehr als drei Grad Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts hin.
Entscheidend in dem Sonderbericht ist die Einführung eines langfristigen Nullnetto-Emissionsziels, sprich: das Ziel, eine klimaneutrale Klimapolitik zu erreichen. Unter dem Strich dürfen nicht mehr Treibhausgase freigesetzt werden als auf der anderen Seite etwa durch Entzug von Kohlendioxid aus der Luft, wieder in den Kohlenstoffkreislauf gelangen. Bis zum Jahr 2050, diese Zahl wurde zum ersten Mal vom IPCC genannt, sollte diese Netto-Emission weltweit auf null gesenkt werden. Derzeit werden jährlich etwa 42 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, das wichtigste Treibhausgas, das durch Verbrennung von Kohle, Öl und Gas entsteht, in die Luft geblasen. Nur ganz wenige Länder haben nationale Klimagesetze geschaffen, die dieses Ziel enthalten, nicht Deutschland und auch nicht die Europäische Union. Um dieses Langfristklimaziel einer Nullnetto-Emission bis spätestens Mitte des Jahrhunderts zu erreichen, müssten die Kohlendioxid-Emissionen weltweit bis zum Jahr 2030 bereits um 45 Prozent gesenkt werden und auch die Mengen an Methan, Ruß sowie anderen klimawirksamen Luftschadstoffen schon verringert werden.
Kohlenstoffbudget wurde korrigiert
Zum Vergleich: Für die Erreichung des 2-Grad-Ziels, das bisher als Schwelle zu einer „gefährlichen Klimaerwärmung“ gehandelt wurde, lautete der Ratschlag der Wissenschaftler: Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe bis spätestens 2075, was eine Minderung der Kohlendioxid-Emission bis 2030 um 20 Prozent bedeuten würde. Veränderungen gab es auch im Hinblick auf die Zahl des noch verfügbaren „Kohlenstoffbudgets“ und damit auf die Sensibilität des Klimasystems. Das globale Kohlenstoffbudget beziffert die Menge an Kohlenstoff, der mit den Treibhausgasen in die Atmosphären gelangen darf, um die klimapolitischen Erwärmungsziele noch zu erreichen. Dieses Budget wurde den IPCC-Wissenschaftlern zufolge im Sonderbericht um 300 Milliarden Tonnen aufgestockt. Grund: Verbesserte Klimamodelle hätten gezeigt, dass das künftige Klima im Hinblick auf die Aufnahmekapazitäten von Kohlendioxid in natürliche Speicher weniger empfindlich reagiert. Sprich: Der Mensch hat durch diese erst nach dem fünften Sachstandsbericht des IPCC veröffentlichten neuen Berechnungsmethoden etwas Zeit gewonnen, um die klimapolitische Wende zu schaffen. Allerdings war diese Aufstockung des Kohlenstoffbudgets im Vorfeld der IPCC-Tagung schon sehr umstritten, weil viele Klimaforscher immer noch mit den früheren Zahlen arbeiten und weil die Unsicherheiten, was die Größe und Entwicklung der Kohlenstoffflüsse und -speicher angeht, „noch erheblich sind“, wie es in der Berichtszusammenfassung heißt. So könnte etwa auch das Auftauen der Permafrostböden in der Arktis und das hierdurch hervorgerufene flächendeckende Ausströmen von Methan das verfügbare Kohlenstoffbudget um mindestens wieder hundert Milliarden Tonnen über das ganze Jahrhundert gerechnet reduzieren. Die IPCC-Führung bemühte sich in Korea mehrfach zu betonen, dass diese Korrekturen kein Anlass für die Klimapolitik sein dürfe, die Bemühungen eines maximalen und möglichst schnellen Umstiegs auf emissionsfreie Energiegewinnung zu reduzieren. „Wir müssen jetzt alle, wirklich alle Optionen zusammen ausschöpfen, wenn wir das Ziel erreichen wollen. Es gibt kein Oder, nur viele Unds“, sagte IPCC-Autor Jim Skea.
Umstritten war und bleibt auch das Kapitel „negative Emissionen“. Keiner der vier vom Klimaraut aufgezeigten Entwicklungspfade, die zu einer maximal 1,5 Grad wärmeren Welt führen können, kommt ohne negative Emissionen aus. Damit sind Maßnahmen und Technologien gemeint, die aktiv Kohlendioxid aus der Atmosphäre entziehen. Das müssen nicht unbedingt massive Großtechnologien des Geoengineering sein, wie das im IPCC-Report wegen absehbarer Unrealisierbarkeit absichtlich herausgelassene Instrument des Global Radiation Management (z.B. Sonnensegel im All). Es können auch natürliche Maßnahmen sein wie die Aufforstung oder stärkere Verbrennung von Bioenergie-Pflanzen mit anschließender technischer Verklappung der Kohlendioxidreste im Untergrund (CCS-Techniken). Die Autoren machten bei der Präsentation deutlich, dass man sich bereits heute über den Einsatz solcher Techniken nachdenken und daran forschen sollte, weil angesichts der aktuellen Emissionen und dem Zeitbedarf für eine Umstellung auf regenerative Energien mit „überschießenden Emissionen“ im Laufe der nächsten Jahrzehnte zu rechnen sei. Bisher allerdings sei völlig ungeklärt, ob und welche Techniken zur Schaffung solcher negativer Emissionspotentiale ökonomisch sinnvoll und ethisch vertretbar wären. Vor allem der Landverbrauch könne kritisch werden, weil die Landflächen für die Nahrungsmittelproduktion gebraucht würden, sagte Jim Skea.
„Die Mentalität ist vorhanden“
Hans Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, einer der Hauptauren in der zweiten Arbeitsgruppe des IPCC, sagte, bis zur Klimakonferenz in Kattowitz müssten die Nationen beweisen, dass sie handlungsfähig sind und das 1,5-Grad-Ziel auch tatsächlich angehen. „Es gibt in der Bevölkerung ganz klar diese Mentalität, die dafür nötig ist“, sagte Pörtner, und die könne er zum Beispiel in den Protesten für einen zielstrebigen Ausstieg aus der Kohleverbrennung im Hambacher Forst erkennen. Pörtner: „Das ist ein ganz entscheidender Moment, noch nie gab es in der menschlichen Entwicklung eine solche globale Herausforderung.“ Den IPCC-Sonderbericht bezeichnete er deshalb auch als „Meilenstein“ auf dem Weg zu ein klimaneutrales Wirtschaften. Für IPCC-Chef Hoesung Lee ist nun der Moment für eine „Effizienzrevolution“ gekommen, damit die Transformation der Energie- und Mobilitätssysteme möglichst geringe Kosten verursacht. Im Sonderbericht wird vorgerechnet, dass für den Umbau des Energiesektors bis zum Jahr 2035 Investitionen in Höhe von 2,4 Billionen Dollar nötig seien, was etwa 2,5 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts entspreche.
Im Folgenden einige weitere Kommentare führender Klimaforscher zum 1,5-Grad-Sonderbericht, die das Science Media Center in Köln eingeholt hat.
Elmar Kriegler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), einer der Autoren des aktuellen IPCC-Sonderberichts:
- „Der Bericht sagt in einer bisher nicht dagewesenen Deutlichkeit: Wenn die Nationen ihre Klimaschutzpläne bis 2030 nicht stärken, wird die 1,5-Grad-Grenze überschritten werden.“
Matthias Honegger vom Institute of Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam:
- „Im Kontext der internationalen Klimapolitik hat der Spezialbericht die Funktion, aufzurütteln. Der Bericht des IPCC zeigt auf, dass uns das 1,5-Grad-Ziel, welches in Paris verwundbaren Bevölkerungen Grund zur Hoffnung gegeben hat, gerade durch die Finger gleitet. Wenn die internationale Staatengemeinschaft nicht sofort massiv zupackt, ist dieses Ziel nicht mehr zu erreichen. Eine im Bericht meines Wissens nicht zitierte Studie fand letztes Jahr eine einprozentige (1 Prozent) Wahrscheinlichkeit, dass die Erwärmung bei einer Fortsetzung der bisherigen Trends bei 1,5°C bleiben würde.“
Helmut Haberl vom Institut für Soziale Ökologie Wien der Alpen-Adria Universität Klagenfurt:
- „Der Bericht zeigt sehr anschaulich, wie groß der Unterschied in den Auswirkungen von 1,5°C und 2,0°C Erwärmung ist. Das Risiko einer massiven Freisetzung von CO2 durch großflächiges Auftauen von Permafrostböden ist bei zwei Grad erheblich höher. Das Gleiche gilt für das Risiko eines galoppierenden Meeresspiegel-Anstiegs, weil große Eisschilde (Antarktis, Grönland) instabil werden. Die nun vorliegende Bewertung der aktuellen Forschung zeigt auch, wie wichtig Nicht-Linearitäten im Erdsystem sind: 2,0°C statt 1,5°C ist nicht einfach ein bisschen wärmer. Es führt zu qualitativen Veränderungen in vielen Systemen und zu einem deutlich höheren Risiko nicht beherrschbarer Kipp-Effekte. Bei einer Erwärmung über 2,0°C oder einem deutlichen ‚overshoot’ über 1,5°C oder 2,0°C wären diese Risiken noch wesentlich größer.“
Katja Frieler, Klimamodelliererin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK):
- „Die Menge der von Wasserstress betroffenen Menschen wird zunehmen – bei einer Begrenzung der Erwärmung um 1,5°C könnte der Anteil der betroffenen Menschen noch um 50 Prozent kleiner sein als bei einer Erwärmung um 2°C.“
Mojib Latif, Ozeanograph am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR):
- „Anspruch und Wirklichkeit könnten nicht weiter auseinanderliegen als in der internationalen Klimaschutzpolitik.“
- „Es ist wichtig, dass man sich ambitionierte Ziele setzt. Nichts wäre schlimmer als die Kapitulation vor dem Klimaproblem. Notwendig wäre nicht weniger als eine technologische Revolution: weg von den fossilen Energieträgern hin zu den erneuerbaren Energien und das innerhalb weniger Jahrzehnte. Die Geschichte zeigt, dass Technologiewandel in so kurzer Zeit möglich ist. Beispiele wären der Übergang vom Pferdewagen zum Automobil oder der gegenwärtige Übergang vom Festnetz zum Mobil- und Smartphone. Derzeit fließen global schon mehr Investitionen in die erneuerbaren Energien als in die konventionellen Energien. Diese Dynamik muss die Politik beschleunigen.“
Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institute und Professor für Klimaschutz der Wageningen Universität:
- „Der Bericht bestätigt, dass es Transformationen dieser Geschwindigkeit bereits gegeben hat, nur geographisch eingegrenzt, noch nicht global. Ein paar Beispiele: In nur fünf Jahren hat Norwegen Elektroautos zum neuen Standard gemacht, 50 Prozent der Neuanmeldungen sind elektrisch. Erneuerbare Energien sind derzeit so günstig, dass einige Regierung aktiv die Entwicklung sogar abbremsen. Erneuerbare Energien drängen Kohle aus Märkten wie Indien und China, was vor fünf Jahren niemand für möglich gehalten hätte. Selbst in Problemfeldern wie der Industrie gibt es Highlights: Die erste Stahlproduktion ohne fossile Brennstoffe hat in Schweden ihren Betrieb aufgenommen – undenkbar vor fünf Jahren. Eines ist sicher: Wenn wir das Ziel aufgeben und es gar nicht erst versuchen, werden wir es ganz bestimmt weit verfehlen.“
Klimaexperte Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik:
- Passiert ist seit Paris wenig, die globalen Emissionen sind seither leicht angestiegen, die IEA rechnet auch für 2018 mit einem weiteren Anstieg. Die kommenden Wochen (bis zur COP 24 in Kattowitz) kann man als Lackmustest sehen, wie ernst es insbesondere den Industrie- und Schwellenländern mit dem 1,5-Grad-Ziel ist.“
- „Nimmt man die Zahlen des 1,5-Grad-Berichts ernst (Reduktion von 45-50% der Treibhausgasemissionen zwischen 2010 und 2030), dann müssten Deutschland und die EU ihre mittelfristigen Klimaziele drastisch verschärfen, weit über die derzeit im Raum stehenden Ambitionsniveaus hinaus. In Deutschland liefe das etwa auf die Halbierung der heutigen Emissionen hinaus, also binnen 13 Jahren. Politisch und auch gesellschaftlich erscheint das sehr unrealistisch.“
Jakob Wachsmuth vom Competence Center Energiepolitik und Energiemärkte des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe:
- „Für das 1,5-Grad-Ziel legen die vier stilisierten Transformationspfade des IPCC-Sonderberichts jedoch nahe, dass die Menschheit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schon in wenigen Jahren so viel Treibhausgase emittiert haben wird, dass der Temperaturanstieg auf Grund der Trägheit des Klimasystems zeitweise 1,5°C überschreitet. In diesem Fall kann die Erderwärmung nur durch eine spätere Realisierung von negativen Treibhausgasemissionen wieder auf 1,5°C abgesenkt werden.“
Lukas Hermwille vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie:
- „Bislang steigen die globalen Treibhausgas-Emissionen und auch die deutschen Emissionen sind zuletzt wieder gestiegen. Dieser Trend muss im Prinzip sofort umgedreht werden und die globalen Emissionen in den nächsten Jahren dramatisch sinken. Jede weitere Verzögerung führt dazu, dass Klimaschutz dramatisch teurer wird.“
- „Die zentrale Botschaft muss entsprechend sein, dass wir als Weltgemeinschaft um jedes Zehntelgrad kämpfen müssen; denn mit jedem Zehntelgrad steigt das Risiko für unumkehrbare Umweltveränderungen und dramatische Umweltkatastrophen.“
Hans Schipper vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung Süddeutsches Klimabüro, Karlsruher Institut für Technologie (KIT):
- „Die Politik sollte Richtlinien vorgeben. Wir alle aber sind gefragt, auch unser eigenes Handeln zu überdenken und einem persönlichen Beitrag zu liefern, um den Klimawandel entgegen zu wirken.“