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: TAUSEND JAHRE SIND EIN TAG

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Eine Frage drängt sich auf, sooft man das Buch "Die Höhlenkinder" in die Hand nimmt: Warum machen Peter und Eva das Ganze eigentlich mit? Warum richten sie sich unter Mühen und Ängsten im "Heimlichen Grund" ein, jenem Dolomitental, ...

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          Eine Frage drängt sich auf, sooft man das Buch "Die Höhlenkinder" in die Hand nimmt: Warum machen Peter und Eva das Ganze eigentlich mit? Warum richten sie sich unter Mühen und Ängsten im "Heimlichen Grund" ein, jenem Dolomitental, in das sie mit Evas Großmutter (die als Hexe verfolgt wird) und dem Großonkel geflohen waren, bevor die beiden Senioren kurz hintereinander starben und die Kinder damit sich selbst überließen? Sicher, ein Steinschlag hatte anschließend den Zugang zum Tal versperrt, aber wäre es nicht trotzdem möglich gewesen, einen Weg über die Berge zu finden? Warum suchen Eva und Peter nicht einmal danach?

          Die schlichte Antwort: Weil sonst eine Geschichte in Gefahr geriete, die seit exakt neunzig Jahren Millionen Leser fasziniert, die bis heute mit einer Gesamtauflage von etwa 800 000 Exemplaren in immer neuen Ausgaben verbreitet wird und dabei unser Bild von der kulturellen Entwicklung der Menschheit in schwer abschätzbarer Weise geprägt hat. "Die Höhlenkinder", der Roman des Autors und Schuldirektors Alois Tlûchôr, der zwischen 1918 und 1920 in drei Bänden erschienen ist, schildert die Robinsonade zweier Kinder, die von der Außenwelt abgeschnitten und ohne jedes Hilfsmittel überleben müssen - mit Ausnahme der Werkzeuge, die sie sich nach und nach selber schaffen.

          Zu Beginn ihrer Zeit im Heimlichen Grund im Jahr 1686 sind die Waisen vermutlich unfassbare sechs beziehungsweise acht Jahre alt. Im ersten und zweiten Jahr hausen sie in einer alten Bärenhöhle, aus der sie im dritten Jahr eine außergewöhnlich heftige Schneeschmelze vertreibt. Sie errichten Pfahlbauten und leben dort ungefähr zehn Jahre, bis sie sich schließlich endgültig in einem Steinhaus niederlassen, das sie an der sonnigsten Felswand des Heimlichen Grundes erbauen - Viehweide, Acker, Werkstatt und Bienenstöcke richten sie dort ebenfalls ein. Am Ende sitzt man in der Abendsonne vor dem eigenen Haus und blickt nach den Berggipfeln. Und Hans, der Sohn, der ihnen im zwölften Jahr der Robinsonade geboren wurde, ist mittlerweile groß genug, um das Tal endlich zu verlassen und sich draußen in der Welt eine Frau zu suchen.

          Eine Erfolgsgeschichte, zweifellos. Ihren besonderen Reiz bezieht sie - wie alle Robinsonaden - aus der Diskrepanz zwischen der anfänglich so verzweifelten Lage und der späteren komfortablen Existenz, die sich einzig dem Fleiß und der ingeniösen Phantasie der Kinder verdankt. Es gibt allerdings einen gewichtigen Unterschied zwischen Defoes "Robinson" und dem Buch des Pädagogen Tlûchôr, der sich als Autor "A. Th. Sonnleitner" nannte: Denn während Robinson als Erwachsener auf seine Insel kommt, sich überdies aus dem Laderaum seines Schiffswracks einiges an Werkzeug und Lebensmitteln holen kann, so mangelt es den Kindern neben der Ausrüstung auch an elementaren Kenntnissen: Wie macht man Feuer? Wie stellt man Werkzeuge, Gefäße, Wände und Dächer her? Und wie erwehrt man sich der wilden Tiere?

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