Renaturierung : Kein schöner Moor in dieser Zeit
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Der ehemalige Truppenübungsplatz Borkenberge nahe Haltern am See umfasst unterschiedliche Biotope, darunter Feuchtwiesen, Sandtrockenrasen, Zwergstrauchheiden – und das Süskenbrocksmoor. Bild: Patrick Junker
Nass sind Moore ein Gewinn: für die Natur und den Klimaschutz. Was passiert aber mit all den Flächen, die über Jahrzehnte trockengelegt wurden? Ein Ortsbesuch.
Das Knistern verheißt nichts Gutes. Es raschelt und knackt bei jedem Schritt, dabei müsste der Boden unter den Gummistiefeln eigentlich laut schmatzen. Dafür steht das Wasser im Süskenbrocksmoor aber schon lange nicht mehr hoch genug: An die dreißig Entwässerungsgräben durchziehen das Gelände bei Borkenberge im Südwesten des Münsterlands und leiten das Wasser aus dem Moor. „Heute machen wir hier Trockenübungen“, sagt Matthias Olthoff vom Naturschutzzentrum Kreis Coesfeld mit Blick auf den ausgedorrt daliegenden Hauptgraben. Wie rasch dieser das Wasser aus dem Moor leiten kann, zeigt ein im März 2019 aufgenommenes Video, das Olthoff auf seinem Smartphone abspielt. Nach anhaltenden Regenfällen war der etwa einen halben Meter breite und tiefe Graben randhoch gefüllt, Wasser rauschte in hohem Tempo durch die Rinne. In nur wenigen Tagen sei alles abgelaufen.
Das Süskenbrocksmoor ist nicht das einzige in Deutschland, dem das Wasser gezielt abgegraben wurde. Die Menschen begannen im 19. Jahrhundert damit, Moorflächen trockenzulegen, um sie für die Land- und Forstwirtschaft nutzbar zu machen. Von ehemals rund 1,5 Millionen Hektar deutscher Moorlandschaft sind heute vielleicht noch fünf Prozent intakt. Trockengelegte Moore setzen allerdings gewaltige Mengen an Treibhausgasen frei. Will die Bundesrepublik wie im Klimaschutzgesetz vorgesehen bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden, führt kein Weg daran vorbei, sämtliche Moore wieder in ihren Nasszustand zurückzuversetzen.
Nasser Moorboden ist normalerweise so mit Wasser gesättigt, dass abgestorbene Pflanzen darin gut konserviert werden. Ihre nicht oder kaum zersetzten Reste bilden Schicht für Schicht mächtige Torfdecken, die größtenteils aus Kohlenstoff bestehen. Im Verlauf der Jahrtausende verwandelten sich Moore auf diese Weise in gigantische Lagerstätten: Sie machen nur drei Prozent der globalen Landfläche aus, speichern aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen, obwohl deren Fläche insgesamt zehnmal so groß ist. Wird Mooren jedoch das Wasser entzogen, entwickeln sie sich zu wahren Klimatreibern.
Liegt der Torf trocken und damit frei an der Luft, beginnen Zersetzungsprozesse, die große Mengen an Kohlenstoffdioxid produzieren: Weltweit geben Moore so jedes Jahr rund zwei Gigatonnen CO₂ frei; Treibhausgase aus entwässerten Mooren tragen sieben Prozent zu den Emissionen Deutschlands bei. Dabei sind viele der alten Moore gar nicht mehr als solche zu erkennen, weil sie unter Äckern, Grünland oder Wald verborgen liegen.
Einst Truppenübungsplatz, heute Naturerbe
Im Süskenbrocksmoor bestimmten nicht so sehr landwirtschaftliche Interessen die Nutzung. Bis vor wenigen Jahren befand sich auf dem Gelände seit 1873 ein Truppenübungsplatz, der zuletzt vom britischen Militär genutzt wurde. Damit die Soldaten auf einer Wiese aufmarschieren konnten, ohne im Schlamm zu versinken, wurde das Gebiet trocken gehalten. Seit dem Abzug der britischen Streitkräfte herrscht hier der Naturschutz, 2016 übertrug der Bund die 1770 Hektar des Truppenübungsplatzes Borkenberge an die DBU Naturerbe GmbH, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Deren Mitarbeiter bemühen sich mit ihren Kollegen im Naturschutzzentrum Coesfeld darum, das Wasser zurück ins Moor zu holen – und dort zu halten.
Auf eine saftig grüne Fläche vor dem Moor hat ein Landwirt in den letzten Tagen tonnenweise Lehm geschüttet. Zwei, drei ockerfarbene Haufen liegen jetzt neben jeder Rinne, um sie zu verplomben: „Damit dichten wir die Gräben ab“, erklärt Alexander Breitkopf vom Naturschutzzentrum. Staut sich später Wasser auf der Wiese, entstehen mehrere kleine Gewässer in den Abschnitten. Mit einem kleinen Bagger gräbt Breitkopf zuerst tief, bis er auf mineralischen Boden stößt. Nur so lasse sich sicherstellen, dass die Lehmpfropfen die Rinnen auch wirklich abdichten und nicht doch Wasser darunter durchsickere. In die Löcher schaufelt der Gärtnermeister anschließend den Lehm, obenauf setzt er zuvor ausgestochene Placken mit moosigem Bewuchs. Um eine Plombe festzudrücken, fährt er ein paarmal mit dem Bagger darüber: „In ein paar Wochen ist das wieder zugewachsen.“ Von den Baggerarbeiten sei dann nichts mehr zu sehen.
„Plomben sind die günstige Variante, um ein Moor wieder zu vernässen“, sagt Uwe Fuellhaas. Als Gewässer- und Feuchtgebietsmanager der DBU Naturerbe GmbH betreut er rund zwanzig Moore, die meisten davon in Nord- und Ostdeutschland. In einigen davon wurde der Wasserstand bereits wieder angehoben, sie sind wiedervernässt, wie es im Fachjargon heißt, für andere ist die Renaturierung zumindest geplant. Mit dem Ziel, nicht nur die klimaschädlichen Emissionen aus den Moorflächen zu unterbinden, sondern zugleich Lebensräume für seltene, feuchtigkeitsliebende Arten zu schaffen. Nicht in jedem Fall erzielen die Maßnahmen jedoch den gewünschten Effekt: „In der Rüthnicker Heide zum Beispiel zieht die Landschaft um eine unserer wiedervernässten Moorflächen herum sehr viel Wasser“, sagt Fuellhaas. „Deswegen ist es dort vor allem in trockenen Jahren schwierig, einen hohen Wasserstand im Moor zu halten.“ Im Süskenbrocksmoor ist auch noch nicht ausgemacht, ob die Renaturierung erfolgreich sein wird. Möglicherweise sei die wasserstauende Lehmschicht unter dem Moor beim Anlegen der Entwässerungsgräben so tief aufgegraben worden, dass Wasser nun einfach versickere, sagt Fuellhaas. „Das ist dann so, als ob man den Stöpsel aus der Badewanne gezogen hat.“
Um herauszufinden, wie tief die alten Rinnen reichen, schlägt Fuellhaas im Westen des Moores einen Bohrstock in die Erde. Die Gräben liegen hier so dicht beieinander, dass die Moorstreifen dazwischen nur wenige Meter breit sind. Die Befürchtung bestätigt sich: Von der einst mindestens einen Meter dicken Torfschicht ist in diesem Bereich nahezu nichts mehr übrig. Aus dem Bohrstock rieselt beim Herausziehen Sand. „Man sieht, dass das Moor durch die Torfzersetzung wahrscheinlich schon abgesackt ist“, sagt Alexander Breitkopf und deutet auf einen Schotterweg, der am Rand des Moores entlangführt und gut einen Meter höher liegt. Auch der Bewuchs zeigt, dass der Boden viel zu trocken ist. Zwar finden sich im Moor noch typische Pflanzen wie Sonnentau und Moorlilien, am Rand stehen jedoch Birken, und mitten zwischen dem Pfeifengras streckt sich ein kleiner Kiefernsämling in die Höhe. Normalerweise müsste es hier zu feucht für Bäume sein, so aber müssen Mitarbeiter des Bundesforstbetriebs Rhein-Weser im Auftrag der DBU Naturerbe GmbH das Moor regelmäßig von jungen Gehölzen befreien. Entkusseln wird dieser Vorgang genannt, der verhindern soll, dass über Bäume und Sträucher noch mehr Wasser verdunstet.
Ein Fund stimmt die Naturschützer an diesem Tag allerdings hoffnungsvoll: „Hier findet man noch Torfmoose“, sagt Fuellhaas und klaubt ein faustgroßes Stück Moos aus einem der Entwässerungsgräben. „Torfmoose sind extrem wasserspeicherfähig, aber sie vertragen auch eine phasenweise Austrocknung. Das heißt, wenn das Wasser zurückkommt, wachsen die Moose hier auch wieder an.“ Obwohl die „Badewanne“ Risse aufweist, hoffen die Moorschützer darauf, durch die Verplombung der Gräben so viel Wasser aufzustauen, dass der Grundwasserpegel insgesamt ansteigt und von unten Wasser ins Moor drückt. „Der Vorteil ist, dass die gesamte Fläche der DBU Naturerbe GmbH gehört“, sagt Fuellhaas. „Wir können den Wasserstand also beliebig beeinflussen, ohne dass wir irgendjemanden damit stören.“
Landwirtschaft vs. Naturschutz auf Bundesebene
Für viele andere Moore Deutschlands dürfte sich die Renaturierung vermutlich heikler gestalten, insbesondere dort, wo heute Landwirtschaft betrieben wird. Im August scheiterte die geplante Moorschutzstrategie der Bundesregierung zum Beispiel daran, dass das Landwirtschaftsministerium (BMEL) die Strategie nur auf naturnahe Moore ausrichten wollte, während das Umweltministerium auch Moorböden unter land- und forstwirtschaftlicher Nutzung einbezog. Das BMEL begründete die Blockade damit, dass Agrarflächen auf Moorböden bereits Teil einer gesonderten Vereinbarung von Bund und Ländern seien. Was Naturschützer zur Kritik veranlasste, dass die Renaturierung von Mooren gerade im Hinblick auf die vereinbarten Klimaziele nicht ambitioniert genug vorangetrieben werde.
„Wenn wir bis 2050 alle Moore wiedervernässt haben wollen, müssen wir allein in Deutschland jedes Jahr 50.000 Hektar renaturieren“, sagt Hans Joosten, emeritierter Professor für Moorkunde und Paläoökologie an der Universität Greifswald, der sich seit Jahrzehnten für den Schutz von Mooren einsetzt. „Bis jetzt schaffen wir 2000 Hektar jährlich.“ Um landwirtschaftlich genutzte Flächen wird noch häufig ein Bogen gemacht, obwohl ihr Anteil der bedeutendste ist: „72 Prozent der entwässerten Moore werden intensiv landwirtschaftlich genutzt“, sagt Joosten. Je intensiver die Bewirtschaftung, umso tiefer seien die Wasserstände abgesenkt und umso mehr Emissionen würden frei. Gerade für diese Flächen müssten deshalb möglichst rasch Alternativen entwickelt werden.
Torfmoose statt Kartoffeln ernten?
Dem Moorkundler Joosten geht es weniger darum, Wirtschaftsflächen unbedingt aus der Produktion zu holen. „Kein Moor wurde jemals einfach so zum Spaß entwässert. Letztendlich brauchen wir die Biomasse, die auf diesen Flächen gewonnen wird.“ Statt dort jedoch weiterhin Roggen oder Kartoffeln anzubauen, plädiert Joosten für eine nasse Form der Land- und Forstwirtschaft, die sogenannte Paludikultur. In einer Datenbank hätten seine Kollegen bereits zahlreiche Pflanzenarten zusammengetragen, die sich für den Anbau auf nassen Moorflächen eignen könnten. „In Deutschland haben wir beispielsweise den Anbau von Torfmoosen erprobt, die zukünftig als Ersatz für Torf in Blumenerde genutzt werden könnten“, erzählt Joosten. Auch Schilf und Rohrkolben ließen sich auf feuchten Moorböden gewinnen. „Rohrkolben ist vielseitig. Man kann Isolationsplatten daraus herstellen, ihn verbrennen oder als Viehfutter nutzen.“
Die Paludikultur steht erst am Anfang, doch sie könnte der Schlüssel zu einem erfolgreichen Moorschutz sein. „Diese Form der Bewirtschaftung verhindert die schlimmen Umweltauswirkungen entwässerter Moore und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, weiterhin Biomasse zu gewinnen und Geld mit den Flächen zu verdienen“, meint Joosten. Und bis die Paludikultur effizient laufe, könne das Einkommen der Landwirte übergangsweise mit CO₂-Zertifikaten gewonnen werden. „Das Wichtigste ist, dass wir möglichst schnell möglichst viele Moore wiedervernässen, denn umso länger sie Treibhausgase ausdünsten, umso schlechter für das Klima.“
Im Süskenbrocksmoor stellt keiner die Frage nach einer produktiven Nutzung der Fläche. Hier wird, wenn alles gut geht, einmal das entstehen, was Hans Joosten eine „nasse Wildnis“ nennt. Auch die hat ihren Wert: Die Freisetzung von CO₂ würde gestoppt, seltene Tier- und Pflanzenarten würden sich wieder etablieren, und in Dürreperioden könnte das Moor als natürlicher Wasserspeicher in der Landschaft dienen.
Für November sind die Naturschützer wieder im Moor verabredet. Sie wollen nachsehen, ob ihre Lehmplomben wirken und die Gräben dicht verschließen. „Nach dem Regen wird das super aussehen“, prognostiziert Uwe Fuellhaas. Und vielleicht schon nachhaltig in den Ohren klingen: Wenn der Schlamm dann wieder so richtig unter den Füßen schlotze, sei das Moor auf dem richtigen Weg.