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Globales Quanteninternet : Verschlüsselte Botschaften aus dem All

Der chinesische Satellit „Micius“ überträgt Lichtquanten an zwei weit entfernte chinesische Bodenstationen. Bild: OGSs

Streckenrekord in der Quantenkryptographie: Verschlüsselte Nachrichten lassen sich mit verschränkten Lichtquanten jetzt 1120 Kilometer weit übertragen. Als Relaisstation dient ein Satellit.

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          Der Aufbau eines weltumspannenden Quanteninternets zur abhörsicheren Kommunikation ist ein gutes Stück vorangekommen. Forscher von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ist es nun in einem spektakulären Freilandversuch gelungen, einen geheimen Quantenschlüssel zwischen zwei rund 1120 Kilometer voneinander entfernten Bodenstationen auszutauschen, ohne den Code zwischendurch auffrischen zu müssen. Damit konnte man die Reichweite quantenkryptographischer Verschlüsselungsverfahren um rund das Zehnfache vergrößern, schreiben Jian-Wei Pan von der Chinesischen Universität der Wissenschaften und Technik in Hefei und seine Kollegen in der Zeitschrift „Nature“. Als Relaisstation diente der chinesische Satellit „Micius“, der seit vier Jahren die Erde in einer Höhe von rund 500 Kilometern umkreist und dafür gedacht ist, moderne Verfahren der Quantenkryptographie zu testen.

          Manfred Lindinger
          Redakteur im Ressort „Natur und Wissenschaft“.

          Für die jüngsten Experimente wurden an Bord von Micius mit Lasern und speziellen Optiken Paare verschränkter Photonen erzeugt und zu den Bodenstationen in Shenzhen (Provinz Guangdong) und Delhi (Provinz Qinghai) geschickt. Jede Station teilte sich ein infrarotes Photonenpaar. Messungen vor Ort belegten das perfekt abgestimmte Verhalten der verschränkten Lichtteilchen. Wurde die Polarisation eines Photons beispielsweise in Shenzhen gemessen, so lag augenblicklich auch die Schwingungsrichtung  des verschränkten Partners in Dehli fest. Durch die wiederholte Messung der Polarisation der ankommenden Photonen konnte die Bodenstation in Shenzhen einen binären Code generieren, der den Forschern als sicherer Quantenschlüssel diente. Aufgrund der Verschränkung der Lichtteilchen verfügte das 1120 Kilometer entfernte Dehli  automatisch über den identischen Schlüssel.

          Die Bodenstationen in Shenzhen und Delhi verfügen über jeweils ein solches lichtstarke 1,2-Meter-Teleskop
          Die Bodenstationen in Shenzhen und Delhi verfügen über jeweils ein solches lichtstarke 1,2-Meter-Teleskop : Bild: OGSs

          Damit war es in Delhi möglich, eine in Shenzhen verschlüsselte und über eine Glasfaser übermittelte Nachricht zu dechiffrieren und zu lesen. Ein Lauscher, der, um an den Schlüssel zu gelangen, eines der Lichtquanten von Micius anzapften würde, hätte sich sofort verraten. Durch sein Abhören würde er selbst eine Messung vornehmen, was die beiden Bodenstationen sogleich bemerken würden. Das ist der Grund, warum die Quantenkryptographie unter den Experten als sicher gilt.

          Freie Bahn im luftleeren Raum

          Die Verteilung verschränkter Photonen auf mehrere Stationen ist allerdings eine technische Herausforderung: Lichtteilchen, die ihren Weg durch die Atmosphäre nehmen, werden von den Luftmolekülen gestreut oder absorbiert, was die Reichweite beschränkt. Auf der Erde liegt die erzielte maximale Distanz für den Austausch eines Quantenschlüssels auf Basis verschränkter Photonen bei rund 144 Kilometern. Mit sogenannten Quantenrepeatern, die die Signale auffrischen, lasse sich die Distanz zwar vergrößern. Jeder Repeater stelle aber ein Sicherheitsrisiko für die verschlüsselte Kommunikation dar. Zudem sind diese Systeme technisch noch nicht ausgereift.

          Einen  Ausweg bieten Satelliten wie „Micius“. Die an Bord erzeugten Photonen müssen nur wenige Kilometer durch die Atmosphäre bis zu den Bodenstationen überwinden. Im Weltraum können sich die Lichtteilchen ungehindert ausbreiten. Die beiden rund 1120 Kilometer Luftlinie voneinander entfernten Bodenstationen in Shenzhen und Delhi liegen jeweils 2000 beziehungsweise von 3000 Metern über dem Meeresniveau. Das ermöglichte wegen der dünneren Luft eine bessere Kommunikation mit dem Satelliten, so die Forscher.

          In dem Experiment, das von September bis Oktober 2018 stattfand, schickte Micius täglich um zwei Uhr morgens fünf Minuten lang seine infraroten Lichtquanten mit einer Rate von rund sechs Megahertz zur Erde. Davon erreichte allerdings nur ein Bruchteil die beiden Bodenstationen, es waren aber genug Photonen, um bei jedem Vorüberflug einen Quantenschlüssel trotz starker Rauschsignale erzeugen zu können. Diesen unterzogen die Forscher zahlreichen Tests, mit dem Ziel, mögliche Schlupflöcher aufzudecken, die die Sicherheit ihres Verfahrens in Frage gestellt hätten.

          Grüne Laserstrahlen waren während der Messungen gleichzeitig auf den Sender im Orbit gerichtet, damit die Photonen beim Überflug von Micius auch sicher ihr Ziel trafen. Mit Filtern und besonderen Messtechniken konnte man die störenden Einflüsse des Mondlichts und der Luftturbulenzen kompensieren.

          Auch wenn man noch weit entfernt ist von der Datenrate klassischer Netzwerke, so konnten Jian-Wei Pan und seine Kollegen nach eigenen Aussagen dank leistungsfähigerer Teleskope und Verbesserungen an den optischen Gerätschaften die Effizienz der Datenübertragung um ein Vierfaches gegenüber früheren Experimenten steigern. Die Helligkeit der Quelle, mit der an Bord von Micius die verschränkten Photonen erzeugt werden, lasse sich noch erhöhen. Dann seien Datenraten von einigen Dutzend Bits pro Sekunde möglich, was für einige praktische Anwendungen ausreichen würde. Mit dem  Experiment sei man, so Pan und seine Kollegen, der Praxistauglichkeit der Quantenkryptographie über große Distanzen einen großen Schritt näher gekommen, zumindest wenn man sich damit begnügte, geheime Botschaften nur in sternenklarer Nacht zu verschicken.

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