Test mit Neutronenbeschuss : Lässt sich die Endlagerzeit von Atommüll verkürzen?
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Castorbehälter mit radioaktivem Müll in einem Zwischenlager Bild: dpa
Wohin mit dem ganzen radioaktiven Abfall aus Kernkraftwerken? In Belgien entsteht ein Demonstrationsreaktor, der das Entsorgungsproblem zum Teil lösen könnte.
Auch wenn Ende des kommenden Jahres hierzulande die letzten sechs der ehemals 17 Kernkraftwerke vom Netz gehen, werden die radioaktiven Relikte einer einst blühenden Kernenergiewirtschaft noch für lange Zeit erhalten bleiben. Denn auf die Frage „Wohin mit dem radioaktiven Abfall?“ gibt es bis heute keine wirklich zufriedenstellenden Antworten. Weltweit wächst der Berg abgebrannter Brennstäbe um rund 260.000 Tonnen pro Jahr. 17.000 Tonnen liegen allein in Deutschland in Abklingbecken oder verglast in Castorbehältern in Zwischenlagern und harren einer ungewissen Zukunft. Denn noch immer ist kein geeignetes Endlager gefunden, in dem die langlebigsten Abfallprodukte der Kernspaltung tief in der Erde sicher verstaut werden können – und das mindestens für eine Million Jahre, wie es das deutsche Standortauswahlgesetz fordert. Danach haben die Radionuklide die Aktivität von natürlichem Uran erreicht und gelten als unbedenklich. Einzig in Finnland wird es in drei Jahren ein Endlager für radioaktiven Abfall geben. In der Anlage Onkalo auf der Insel Olkiluoto sollen in 500 Meter Tiefe zumindest 6500 Tonnen langlebige Radionuklide Platz finden.
Verschärft wird das Problem dadurch, dass sich weltweit derzeit 50 neue Kernkraftwerke im Bau befinden. Entsprechend wird die Menge brisanten Abfalls weiter wachsen. Da klingt eine Idee verlockend, die wie moderne Alchemie anmutet: die Transmutation von langlebigem hoch radioaktivem Abfall in Substanzen mit deutlich kürzeren Halbwertszeiten, indem man sie mit schnellen Neutronen aus einem Beschleuniger bestrahlt. Statt hunderttausende Jahre, so die Vorstellung, würde der radioaktive Abfall dann nur noch tausend Jahre lang strahlen. Die Endlagerzeit verkürzte sich somit auf einen vergleichsweise überschaubaren Zeitraum. Auch die Menge des einzulagernden Abfalls könnte dadurch deutlich verringert werden.
Was bislang nur im Labor funktioniert – dem Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia war es in den Neunzigerjahren gelungen, radioaktives Plutonium durch Neutronen umzuwandeln, die mithilfe eines Beschleunigers produziert wurden –, soll nun in Belgien erstmals auf seine großtechnische Machbarkeit hin erprobt werden. Nahe der Stadt Mol entsteht auf dem Gelände der Kernforschungsanlage SCK-CEN derzeit die europäische Transmutationsanlage „Myrrha“. Sie besteht, wenn sie – wie geplant – in rund zehn Jahren fertiggestellt sein wird, im Wesentlichen aus einem rund 400 Meter langen Linear-Beschleuniger für Protonen samt Neutronenquelle und einem unterkritischen Kernreaktor.
Das Prinzip klingt einfach (siehe Grafik): Protonen, die in dem Teilchenbeschleuniger auf hohe Energien gebracht werden, schlagen aus einem speziellen Material schnelle Neutronen heraus (Spallation). Diese neutralen Kernbausteine treffen in dem Reaktor auf die Brennelemente mit dem radioaktiven Abfall und induzieren Kernspaltungen. Dabei entstehen Radionuklide, deren Halbwertszeiten deutlich kürzer sind als die der langlebigen Radionuklide in den Brennelementen.
Die großen Hürden von Myrrha
Als Brennstoffe sollen Plutonium sowie die minoren Actiniden Neptunium, Americium und Curium verwendet werden – Elemente, die als unerwünschte Nebenprodukte in einem konventionellen Kernreaktor in großen Mengen entstehen. Die Isotope sind äußerst langlebig und als Alpha-Strahler radiotoxisch. Sie erzeugen starke Strahlenschäden, wenn sie freigesetzt und über die Atemluft oder über die Nahrungskette in den Körper gelangen.