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Neue Physik in Sicht? : Mysteriöses Signal im Dunkle-Materie-Detektor

Blick ins Innere des Wassertanks des Xenon1t-Detektors. Im Zentrum ist der mit flüssigem Xenon gefüllte Kryostat zu sehen. Bild: Xenon Kollaboration

Seit Jahren suchen die Forscher des Xenon1t-Experiments nach Hinweisen auf Dunkle Materie. Bislang vergeblich. Nun könnte ihnen ein spektakulärer Fang geglückt sein.

          3 Min.

          Auf ein rätselhaftes Signal sind Wissenschaftler des Xenon1t-Experiments beim Sichten ihrer Messdaten gestoßen. Über den Ursprung des Signals, das im niederenergetischen Teil des Energiespektrums bei einigen Kiloelektronenvolt aufgetaucht ist, haben selbst die Forscher noch keine eindeutige Erklärung. Handelt es sich dabei um bislang unbekannte exotische Teilchen und Prozesse, die ihre Spuren hinterlassen haben, oder doch nur um Verunreinigungen im Detektor, der aus 3,5 Tonnen flüssigem Xenon besteht? Sicher scheint nur, dass es sich bei den Ereignissen offenbar nicht um den lang ersehnten Nachweis von Dunkler Materie handelt, für den Xenon1t ursprünglich konzipiert wurde.

          Manfred Lindinger
          Redakteur im Ressort „Natur und Wissenschaft“.

          Zum Schutz vor kosmischer Höhenstrahlung im Gran-Sasso-Untergrundlabor in den italienischen Abruzzen untergebracht, sollte Xenon1t von 2016 bis 2018 jene mysteriösen Teilchen aufspüren, aus denen die Dunkle Materie theoretischen Modellen zufolge bestehen könnte. Doch die Suche nach solchen Wimps („Weakly Interacting Massive Particles“) ist erfolglos geblieben. Und auch andere Experimente konnten bislang keine Hinweise finden, die für die Existenz dieser ungeladenen massereichen, mit normaler Materie aber extrem schwach wechselwirkenden Partikeln sprechen.

          Von allen existierenden Dunkle-Materie-Detektoren ist Xenon1t der bislang empfindlichste und auf den Nachweis extrem seltener Ereignisse spezialisiert. Wenn ein Teilchen durch das flüssige Xenon fliegt, so erzeugt es, sollte es mit einem schweren Edelgaskern kollidieren, charakteristische Lichtblitze, die von empfindlichen Sensoren registriert werden.  Der Löwenanteil dieser Signale stammt von der kosmischen Strahlung oder von Teilchen aus radioaktiven Zerfällen in der Umgebung des Detektors. Wollen die Forscher ein unbekanntes Teilchen, etwa ein Wimp, identifizieren, müssen sie diesen Untergrund möglichst minimieren.

          Geisterteilchen von der Sonne

          Bei der jüngsten Analyse der zwischen Februar 2017 und Februar 2018 gemessenen Daten hat die internationale Forschergruppe, der auch Wissenschaftler aus Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Mainz und Münster angehören, eine Überraschung erlebt. Wie sie in einer noch nicht begutachteten Veröffentlichung berichten, hatten sie 53 Ereignisse mehr registriert als die eigentlich zu erwartenden etwa 232 Ereignisse. „Nur aufgrund unserer extremen Reduktion der Untergrundrate konnten wir überhaupt in dem Bereich niedrigster Energien solch einen geringen Überschuss entdecken“, sagt Christian Weinheimer von der Universität Münster.

          Im Bereich geringere Energie sind  mehr Ereignisse gemessen worden, als eigentlich zu erwarten gewesen wären (rote Linie).
          Im Bereich geringere Energie sind mehr Ereignisse gemessen worden, als eigentlich zu erwarten gewesen wären (rote Linie). : Bild: Xenon Kollaboration

          Für die Ursache dieses Überschusses hat man nun verschiedene mögliche, zum Teil spektakuläre Erklärungen: So könnten hinter dem Signal bislang hypothetische Teilchen stecken, sogenannte Axionen. Nach Aussagen der Forscher ähnle der Verlauf des gemessenen Energiespektrums demjenigen, das man für solare Axionen erwarten würde. Axionen wurden in den späten siebziger Jahren postuliert, um eine Ungereimtheit der starken Kernkraft erklären zu können. Das Axion sollte ungeladen und deutlich leichter sein als ein Elektron und nur schwach mit normaler Materie reagieren. Myriaden von ihnen seien beim Urknall entstanden und schwirrten seitdem als Dunkle Materie durchs All. Diese Exoten sind aber nur sehr schwer nachzuweisen. Auch in der Sonne so wie in allen Gestirnen würden – so die Vorstellung – Axionen entstehen. Allerdings hat man für diese These bislang keinen Beleg gefunden.

          In Frage kommen aber auch Neutrinos, vorausgesetzt die flüchtigen Elementarteilchen, die bei radioaktiven Zerfällen oder bei Fusionsprozessen in der Sonne erzeugt werden, besäßen ein magnetisches Moment, was den Aussagen des Standartmodells der Teilchenphysik zuwiderlaufen würde. „Wenn Axionen oder Neutrinos das Signal hervorgerufen hätten, wäre das auf jeden Fall eine Sensation“ sagt Weinheimer. Denn beide Fälle wären ein klares Anzeichen für eine neue Physik, nach denen die Teilchenphysiker seit langem suchen.

          Oder doch nur Verunreinigungen?

          Allerdings gibt es noch eine ganz andere, eher triviale Erklärung für den gemessenen Überschuss. So könnte es sein, dass geringe Mengen an radioaktivem Tritium im flüssigen Xenon für das Signal verantwortlich sind. Tritium, ein radioaktives Wasserstoffisotop mit zwei zusätzlichen Extra-Neutronen, zerfällt unter Aussendung eines Antineutrinos sowie eines Elektrons. Die Zerfalls-Elektronen von nur extrem wenigen Tritium-Atomen könnten bereits das Signal erklären. Allerdings besteht derzeit keine Möglichkeit festzustellen, ob sich tatsächlich Spuren von Tritium im Detektormaterial befinden.

          Das Herzstück von Xenon1t enthält flüssiges Xenon als Detektormaterial.
          Das Herzstück von Xenon1t enthält flüssiges Xenon als Detektormaterial. : Bild: Xenon Kollaboration

          So bleibt diese Erklärung erst einmal offen, genauso wie die beiden anderen Deutungen. Denn es ist auch nicht ausgemacht, ob es sich bei dem gemessenen Signal nicht doch um eine statistische Schwankung in den Messwerten handelt.

          Als Signifikanz der Messungen geben die Wissenschaftler 3,5 Sigma im Fall von Axionen und 3,2 Sigma bei Neutrinos an. Das entspricht einer Wahrscheinlichkeit von jeweils rund 99,7 Prozent, dass das Signal echt ist. Das ist allerdings noch nicht ausreichend, um von einer echten Entdeckung sprechen zu können. Dies verlangt eine Signifikanz von fünf Sigma oder einer Wahrscheinlichkeit von 99,9999 Prozent.

          Da Xenon1t seit zwei Jahren nicht mehr im Betrieb ist, wird man auch keine definitive Aussage über den Ursprung des Überschusssignals erwarten können. Das wird dem Nachfolger Xenon-nt überlassen sein. Dieser wird, wenn er Ende dieses Jahres nach einem Umbau von Xenon1t in Betrieb geht, mit der dreifachen aktiven Xenonmasse arbeiten und um eine Größenordnung empfindlicher sein. Dann könnte es sein, dass die Forscher nicht nur endlich den Wimps habhaft werden, sondern auch noch exotischeren Teilchen wie den Axionen, sollten sie tatsächlich existieren. „Die bald startenden Messungen mit Xenon-nt werden sehr spannend werden“, sagt Weinheimer.

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