Interview zur Energiewende : Der Umbau des Systems ist machbar
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Unternehmen und andere große Stromverbraucher müssen seit 2011 die Gebühren zur Finanzierung der Stromnetze nicht zahlen Bild: dpa
Die Energiewende droht ins Stocken geraten. Bürger gehen gegen geplante Stromtrassen und Pumpwasserspeicher auf die Barrikaden. Die Bundesregierung scheint sich über steigende Kosten und Industrie-Rabatte mehr Gedanken zu machen, als über die sichere Energieversorgung. Die Herausforderung der Energiewende ist offenkundig unterschätzt worden. Ein Gespräch mit dem Chemiker und Energieexperten Ferdi Schüth vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim/Ruhr.
Herr Schüth, hat sich die Einstellung der Wissenschaft zur Energiewende gewandelt?
Ich kann nicht für alle Kollegen sprechen, aber ich glaube, es gibt eine große Übereinstimmung, dass das Vorhaben in Deutschland technologisch und wissenschaftlich grundsätzlich machbar ist. Wir können zwar noch nicht alle technischen Probleme lösen, die der Umbau des Energiesystems erfordert. Wir können aber viele Antworten geben. Die großen Hürden liegen an anderer Stelle, etwa an der Umsetzung, den Kosten und an den Mechanismen des Marktes. Das Regelungsgeflecht unseres Energiesystems ist so komplex dass man es nicht mehr durchschaut. Aber ich bleibe dabei, die Ziele, die ja bereits im Jahr 2010 formuliert wurden, sind technologisch erreichbar.
Allerdings könnte man den Eindruck gewinnen, dass wissenschaftliche Fragestellungen in der öffentlichen Diskussion keine große Rolle spielen.
Die Wissenschaft wird von der Polititk durchaus gehört, wenn es häufig auch nicht so sichtbar wird. Erst in der vergangenen Woche haben die deutschen Akademien und Forschungsministerin Johanna Wanka das Projekt „Energiesysteme der Zukunft“ vorgestellt, in dem die Energiewende wissenschaftlich begleitet werden soll.
In welchem Zeitfenster ist die Energiewende zu erreichen?
Die „kleine“ Energiewende mit der Abschaltung aller Kernkraftwerke bis 2022 ist vergleichsweise einfach zu verwirklichen. Was zu tun ist, steht eigentlich seit dem ursprünglichen Atomausstiegsbeschluss von 2002 auf der Agenda: entschiedener Ausbau der Stromnetze, Ausbau der erneuerbaren Energien und der Neubau von fossilen Kraftwerken, insbesondere von Gaskraftwerken. Letzteres ist allerdings für die Energieversorger unter der derzeitigen Prämisse, dass der grüne Strom Priorität genießt, nicht rentabel, da die jährlichen Betriebszeiten für solche Kraftwerke zu kurz sind. Deshalb tut man sich mit dem Bau neuer Anlagen sehr schwer. Die großen Herausforderungen stellen sich mit der „großen“ Energiewende bis zum Jahr 2050, wenn bis dahin 80 Prozent der Stromversorgung von den erneuerbaren Energiequellen kommen sollen und man den CO2-Ausstoß gegenüber 2010 um 80 Prozent reduzieren will.
Dazu braucht es Verfahren, um den Strom, den Wind und Sonne liefern, zu speichern. Welche Technologien sind hierfür notwendig?
Wir haben vier Möglichkeiten, auf fluktuierende Einspeisung und fluktuierenden Verbrauch zu reagieren. 1. Man kann Reservekapazitäten schaffen. 2. Man muss die Stromnetze so weit ausbauen, so dass sich Fluktuationen regional ausgleichen können. 3. Es gibt die Möglichkeit des sogenannten Demand-Side-Managements. Man kann die Nachfrage nach Energie bei den Abnehmern gezielt steuern, so dass kein zusätzlicher Strom erzeugt werden muss. Und die vierte Möglichkeit ist die Speicherung von elektrischer Energie auf chemischem Weg oder über mechanische Verfahren, wie Pumpwasserspeicher. Am Ende wird es wahrscheinlich eine Mischung von allen Elementen geben. Man sollte die Kombination favorisieren, die am günstigsten ist.
Pumpspeicherkraftwerke können nur für wenige Stunden Strom liefern. Welche Optionen bieten sich für die Energiespeicherung im großen Maßstab für größere Zeiträume?
Dazu braucht man chemische Energiespeicher. Grundsätzlich sind Kohlenwasserstoffe dafür die besten Stoffe, da sie die größten Energiedichten aufweisen.
... die man bislang aus Erdöl gewinnt.