Kunstrasen : Nach der Graswurzelbewegung
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Die Anfangsphase liegt lange zurück. Inzwischen hat sich nicht nur das Spiel technisch weiterentwickelt, sondern auch der Kunstrasen. Die Hersteller verbesserten die Materialien und tüftelten am Aufbau des Rasenimitats herum. Die aktuelle dritte Generation besteht aus etwa zwei Zentimeter langen Kunststofffasern, die auf dem Fußballplatz – im Gegensatz zum Hockey – gekräuselt sind, damit der Ball nicht zu schnell wird. Ihre Verankerung liegt auf einer elastischen Tragschicht aus Polyethylen, unter der sich ein Gesteinsbett aus Schotter oder Splitt, das Regenwasser ableitet. Für Halt und Stabilität sollen Gummigranulate zwischen Elastikschicht und Kunsthalmen sorgen – die Spieler sollen ja auf dem Platz nicht ausrutschen. Diese sogenannte Verfüllung wird auch ständig weiterentwickelt. Auf Spielfelder der zweiten Generation, die teilweise noch in Betrieb sind, wurde vorwiegend Sand gestreut. Schmerzlich für die Spieler wie für die Vereine: Die Quarzkörner scheuern nicht nur die Haut auf, sie schmirgeln zugleich die Kunstfasern ab, und das Geläuf wurde mit der Zeit stumpfer. Auf den neuesten Plätzen experimentiert man jetzt mit Kork.
Leicht erhöhtes Verletzungsrisiko
Bleibt die Frage, ob die künstlichen Halme tatsächlich zu mehr Verletzungen führen. Erstmals wurde der Kunstrasen bei zwei Juniorenweltmeisterschaften im Jahr 2003 und 2005 getestet – und mit WM-Spielen auf Naturrasen verglichen. Signifikante Unterschiede beim Verletzungsrisiko gab es nicht. Allerdings war die Datenmenge auch gering.
Die bisher umfangreichsten Studien nahm der schwedische Sportmediziner Jan Ekstrand vor. In einer wertete er mehr als 2000 Spiele und Trainingseinheiten auf Kunstrasen aus und setzte sie in Kontrast zu einer Kontrollgruppe, die ausschließlich auf Naturrasen spielte. Ekstrand ist der Ansicht, dass sich die Verletzungsgefahr zwischen Natur- und Kunstrasen nicht unterscheidet. Allerdings deuten seine Resultate auf ein leicht erhöhtes Verletzungsrisiko des Fußgelenks auf Kunstfasern hin. Da Ekstrand die beiden Geläufe im Auftrag der Uefa untersuchte, sind seine Ergebnisse jedoch mit Vorsicht zu genießen.
Gleichwohl sind die schwedischen Studien für den Biomechaniker Potthast eine Bestätigung der eigenen Arbeit. Er geht davon aus, dass durch den Kunstrasen die unteren Extremitäten anders und an bestimmten Strukturen stärker belastet werden. Betroffen seien Fußgelenk und Achillessehne. Als Beispiel nennt Potthast einen Richtungswechsel aus vollem Lauf: „Bei nassem Naturrasen ist hinterher ein Loch im Boden, das reduziert die Belastung für den Fuß und das Sprunggelenk.“ Kunstrasen hingegen gebe kaum nach, weshalb der Fuß weniger rutsche und stärker abknicke. Auf Drehwiderstand und Kraftabbau kommt es demnach an: „Ein bisschen Rutschen ist aber wichtig, sonst bleibt man eher im Rasen hängen.“
Auch das künstliche Grün braucht Pflege
Die Hersteller behaupten, den Kunstrasen auch in dieser Hinsicht zu prüfen. Potthast hält diese rein mechanischen Tests für nicht ausreichend: „Das hat nichts mit dem natürlichen Bewegungsablauf zu tun.“ Von großer Relevanz für die Belastung sei die Elastizität des Geläufs. Ein Naturrasen gebe punktuell viel besser nach, ein Kunstrasen hingegen eher flächig. Das wiederum werde bei den Tests überhaupt nicht berücksichtigt.
„Eigentlich soll der Kunstrasen den Naturrasen überhaupt nicht ersetzen. Er war als Alternative für Hartplätze gedacht“, sagt der Landschaftsarchitekt Markus Illgas aus Straelen am Niederrhein, der Plätze plant und als Gutachter wirkt. Kunstrasen sei kein Allheilmittel, zudem nicht ganz billig. Alles inklusive kostet ein guter Platz etwa eine halbe Million Euro. Auch er muss gepflegt und nach zwölf bis fünfzehn Jahren ersetzt werden. Aber das hält Vereine nicht von der Umrüstung ab. Mittlerweile habe sich eine große Industrie gebildet, die das Spielen auf Kunstrasen stark protegiert, sagt Illgas. Hersteller treten als Sponsoren auf, und die Fifa macht mit Zertifikaten ein Riesengeschäft. Und wenn ein neuer Platz eingeweiht wird, profilieren sich Politiker und Funktionäre gerne als Förderer des Sports.
Das künstliche Grün muss dennoch kein Unglück für das Spiel bedeuten. Schließlich braucht saftiger Rasen genügend Licht, Luft – und die Liebe des Platzwartes, der meist nicht viel ausrichten kann, wenn das Feld aussieht, als hätten Wildschweine es umgepflügt. Aber der Geruch von frisch gemähtem Gras, der wird immer fehlen.