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Die Welt der Zecken : Das Halloween-Besteck der Blutsauger

  • -Aktualisiert am

Hoher Gruselfaktor: Einem Zeckenweibchen direkt ins Maul geschaut. Bild: Dania Richter

Wenn Zecken speisen: Der eigentlichen Blutmahlzeit geht ein ausgeklügelter Stechvorgang voraus. Wissenschaftler haben sich die Mundwerkzeuge einmal näher angesehen und erstaunliches entdeckt.

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          Zecken gehören zu den am meisten gehassten Tieren. Sie vergällen die Freude an einem Spaziergang im Grünen, dürfen doch die bei einem Zeckenstich möglicherweise übertragenen Krankheitserreger nicht unterschätzt werden. Die tiefe Abneigung, die viele Menschen für Zecken hegen, kann bei Biologen freilich auch in Respekt umschlagen. Denn die Blutmahlzeit erfordert eine bewundernswerte biochemische und biomechanische Strategie. Parasitologen an der Charité in Berlin ist es nun zusammen mit Forschern der Harvard University in Cambridge gelungen, den Stechvorgang in fast gruseligen, jedenfalls faszinierenden mikroskopischen Bildern festzuhalten. Sogar einen „blutrünstigen“ Action-Film konnten sie drehen.

          Wochenlanges Blutsaugen

          Als Untersuchungsobjekt diente den Forschern um Dania Richter und Franz-Rainer Matuschka der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus). Diese hierzulande weitverbreitete Spezies zählt zu den Schildzecken. Anders als Lederzecken, die sich gewöhnlich mit einem kurzen Saugvorgang begnügen, kann sich die Blutmahlzeit von Schildzecken über Tage bis Wochen erstrecken. Für den Holzbock besteht die Herausforderung somit darin, sich zunächst möglichst unbemerkt in die Haut zu bohren und sich dann so fest zu verankern, dass er nicht abgestreift wird, etwa durch Kratzen. Dass ihm das gelingt, verdankt er dem kunstvollen Zusammenspiel seiner Mundwerkzeuge, das die Forscher detailliert in dem Journal „Proceedings of the Royal Society B“ beschreiben (doi: 10.1098/rspb.2013.1758).

          Nahaufnahme : Eine Zecke saugt sich fest

          Für ihre Blutmahlzeit nutzt die Zecke zwei „Essbestecke“. Zuerst kommt ein Paar klauenartiger Instrumente zum Einsatz, die Chelizeren. Diese können teleskopartig aus- und eingefahren werden. Ihre bewegliche, gezähnte Spitze erleichtert das Eindringen in die elastische Haut des Wirtes. Zunächst ritzen die Chelizeren die Haut nur oberflächlich ein. Dadurch entsteht ein Ansatzpunkt für das Einführen der Mundwerkzeuge. In der Folge winkeln sich die Spitzen ab, wobei sich die Zähne im Gewebe verhaken. Nun werden die Chelizeren ein Stück eingezogen. Weil deren mit Widerhaken bewehrte Spitzen festsitzen, dringt der ganze Apparat tiefer in die Haut ein. Jetzt kommt das zweite Besteckteil ins Spiel. Es handelt sich hierbei um den mit starken Widerhaken bestückten Unterkiefer, das Hypostom. Infolge der sich wiederholenden, ratschenartigen Bewegungen der Chelizeren schiebt sich das Hypostom immer weiter vor. Das geht mit einer ständig fester werdenden Verankerung in der weichen, wenig Halt bietenden Haut einher. Wie es der Zecke gelingt, ihre Mundwerkzeuge nach dem Blutmahl trotz der Widerhaken zurückzuziehen, ist noch nicht genau erforscht. Eine Rolle dürfte hierbei der Zeckenspeichel spielen.

          Die rund ein Viertel Millimeter langen Mundwerkzeuge einer jungen Zecke von seitlich oben betrachtet. Auf dem mit großen Widerhaken bestückten Unterkiefer liegen die beiden Chelizeren, eine davon mit abgewinkelter Spitze.
          Die rund ein Viertel Millimeter langen Mundwerkzeuge einer jungen Zecke von seitlich oben betrachtet. Auf dem mit großen Widerhaken bestückten Unterkiefer liegen die beiden Chelizeren, eine davon mit abgewinkelter Spitze. : Bild: Dania Richter

          Sind die Mundwerkzeuge des Holzbocks verankert, kann das Mahl beginnen. Das Hypostom ist oben zu einer Rinne geformt, über die das Blut aufgesaugt wird. Es handelt sich hierbei aber keineswegs um eine Einbahnstraße. Vielmehr schickt die Zecke auf diesem Weg mit dem Speichel einen Cocktail von Wirkstoffen in die Haut. Schließlich gilt es zu verhindern, dass die Einstichstelle rasch zu jucken oder zu schmerzen beginnt und die Zecke sich infolgedessen vorzeitig verrät. Entscheidend ist auch, dass Blutgerinnung und Immunreaktionen unterdrückt werden, bereiteten sie doch der Mahlzeit ein schnelles Ende.

          Krankheitserreger Lyme-Borreliose

          Der Speichel von Schildzecken enthält Hunderte von Proteinen, viele davon mit noch unbekannter Wirkungsweise. Letztlich sorgen die Substanzen nach den Worten Matuschkas jedenfalls dafür, „dass Ixodes ricinus ihren Blutrausch über Tage und Wochen unbehelligt ausleben kann“. Leider gelangen mit dem Speichel mitunter auch gefährliche Krankheitserreger in den Wirtsorganismus. Was die gefürchtete Lyme-Borreliose betrifft, ist das Infektionsrisiko gewöhnlich am ersten Tag noch gering. Anschließend steigt es, und zwar umso mehr, je länger die Zecke schon saugt. Die sichere Verankerung in der Haut, die sich der Gemeine Holzbock mit seinen raffiniert arbeitenden Mundwerkzeugen schafft, kann dem Menschen also teuer zu stehen kommen.

          So dürften auch die biologisch faszinierenden Einblicke der deutsch-amerikanischen Forschergruppe wenig an der generellen Abneigung gegenüber den Zecken ändern.

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