Gekappte Verbindungen: Europa verweigert genetischen Daten die Ausreise nach Amerika. Bild: Getty Images
Tausende medizinische Studien sind in den Vereinigten Staaten in Gefahr. Persönliche Informationen europäischer Teilnehmer dürfen aufgrund der EU-Datenschutz-Richtlinien nicht mehr nach Amerika fließen.
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Auf den ersten Blick hat Robert Eiss nicht gerade den spektakulärsten Job bei den National Institutes of Health (NIH). Als „globaler Berater“ der amerikanischen Forschungsbehörde muss er sich bisweilen mit Datenschutzfragen herumschlagen. Wenn eine medizinische Studie ins Stocken gerät, weil europäische Daten nicht nach Amerika fließen dürfen, landet der Vorgang auf seinem Schreibtisch. Doch so dröge das klingt: Dank dieser Aufgabe blickt er wie durch ein Brennglas auf ein Problem, das derzeit die internationale biomedizinische Forschung in Frage stellt.
Ein Fall hat sich in seiner Erinnerung eingebrannt. Er trug sich an der hauseigenen Klinik der NIH in Maryland zu. Dort wurde ein Patient mit Lymphdrüsenkrebs behandelt. Bewährte Therapien blieben erfolglos, seine einzige Chance war eine experimentelle Immuntherapie, für die eine Stammzellenspende benötigt wird. Die Ärzte fanden einen Treffer in einer deutschen Spenderdatei. Weil es sich bei der Therapie um ein Forschungsprojekt handelte, benötigten sie auch persönlich Informationen und Proben des potentiellen Spenders. Doch wegen der seit Mai 2018 geltenden europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) durften diese Daten nicht an die amerikanische Behörde gelangen. Die deutsche Spendereinrichtung verweigerte die Zusammenarbeit.
Eine Konsequenz aus der DGSVO
„Stellen Sie sich mal vor, was in den Ärzten vorging, die diesem Menschen aufgrund von Datenschutz nicht helfen konnten“, erzählt Eiss, der den Fall übernahm. Nach wochenlangen Verhandlungen konnte er die deutsche Seite doch überzeugen, eine Erlaubnis des Spenders einzuholen und die Daten zu schicken. „Sie haben uns aber klargemacht, dass es sich um eine einmalige Ausnahme handelt“, erzählt er. Das ist ein Problem, denn 40 Prozent der Spender, auf welche die NIH zugreifen, befinden sich in Europa. Der nächste ähnliche Fall ließ denn auch nicht lange auf sich warten.
Diese Geschichte sticht heraus, weil die DSGVO hier direkte Auswirkungen auf die Behandlung eines Patienten hatte. Viel öfter sind rein wissenschaftliche Untersuchungen betroffen. Eine seit 25 Jahren laufende Diabetesstudie habe für 18 Monate pausieren müssen, erzählt Eiss. Mindestens vierzig Forschungsprojekte zu Risikofaktoren von Krebs lägen auf Eis. Die NIH hätten 1,5 Millionen Dollar investiert, um Daten einer dänischen Geburtenkohorte zu sammeln. Damit wollten Wissenschaftler genetische Faktoren für Schwangerschaftsdiabetes erforschen. „Als die DSGVO in Kraft trat, baten uns unsere dänischen Partner, alle Daten und Proben zurückzugeben.“
Man zielt auf Facebook – und trifft Krebspatienten
Auch andere europäische Datenbanken mit Blutproben oder genetischem Material haben ihre Datenströme mit amerikanischen Einrichtungen gestoppt. Die NIH fördern insgesamt 5000 medizinische Studien in Europa. „Wir schätzen, dass die meisten davon von der Regelung betroffen sind“, sagt Eiss. Mittlerweile haben sich drei große akademische Netzwerke aus Europa in die Sache eingeschaltet. Kürzlich haben sie erstmals gemeinsam einen Bericht veröffentlicht. Darin appellieren sie an die Europäische Kommission, sich der Sache endlich anzunehmen. „Ein geringerer globaler Austausch von Gesundheitsdaten für die Forschung schadet allen“, schreiben die Autoren.