Riskantes Krebsmedikament : Um ein Haar ein Medizinskandal
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Wie sicher ist das Krebsmittel „Paclitaxel“ für Herzkranke? Bild: dpa
Das Krebsmittel Paclitaxel ist auch in der Gefäßmedizin beliebt. Doch wie sicher sind Stents und Ballons in Beinadern, über die das Medikament in den Kreislauf gelangt?
Das Krebsmittel Paclitaxel erfreut sich auch in der Gefäßmedizin großer Beliebtheit. Denn Ballonkatheter und Gefäßstützen (Stents), die dieses Zytostatikum freisetzen, haben sich bei der Behandlung von schweren Verengungen der Beinschlagadern enorm bewährt. So verringern sie das Risiko, dass der mechanisch geöffnete Engpass schon bald wieder zugeht. Eine Untersuchung griechischer Ärzte, die 28 Therapiestudien mit zusammen 4663 Teilnehmern in einer Metaanalyse ausgewertet haben, nährt nun Zweifel an der Sicherheit von Paclitaxel freisetzenden Materialien in der Gefäßmedizin.
Wie sie nahelegt, versterben die hiermit behandelten Patienten innerhalb von fünf Jahren eher als Gefäßkranke, bei denen Stents und Ballonkatheter ohne Beschichtung mit dem zellwachstumshemmenden Medikament zum Einsatz kommen. Die Erkenntnisse der griechischen Autoren um Konstantinos Katsanos von der Universitätsklinik in Rion haben in der Fachwelt hohe Wellen geschlagen und auch die Behörden auf den Plan gerufen. So hat die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA die Ärzteschaft kürzlich aufgefordert, die Augen offen zu halten und verdächtige Symptome umgehend zu melden.
Die Behörde ist besorgt
Besorgt zeigt sich auch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM, wie aus einem Schreiben an die Deutsche Gesellschaft für Angiologie DGA ersichtlich wird. Die Experten der Fachgesellschaft, die an den in der Metaanalyse berücksichtigten Studien teilweise beteiligt waren, geben allerdings Entwarnung.
Nach erneuter Auswertung der Krankenakte jedes einzelnen Teilnehmers ihrer Studien kommen sie zum Schluss, dass die neuen Sicherheitsbedenken unbegründet sind. „Die erhöhte Sterblichkeit in der Katsanos-Arbeit ist am ehesten ein Artefakt“, lautet das Urteil der Angiologen. Zugrunde liegen dem demnach inkorrekte Berechnungen sowie die Tatsache, dass nur sehr wenige Probanden langfristig bei der Stange geblieben sind und für die Nachuntersuchungen zur Verfügung standen. Unterstützt werden die Einschätzungen der deutschen Gefäßmediziner von den Ergebnissen einer Untersuchung, die soeben in einem kardiologischen Fachjournal veröffentlicht wurden.
Mit einer Klärung der Sicherheitsfrage ist nicht zu rechnen
Dennoch hinterlassen die Ergebnisse der Metaanalyse einen Nachgeschmack. Die Datenlage ist nämlich viel zu dünn, um Paclitaxel von jeglichem Verdacht freizusprechen. „In der Krebsmedizin wird das Mittel seit vielen Jahren in weitaus höheren Dosen eingesetzt, und das offenbar ohne langfristige Konsequenzen“, stellt Holger Reinecke von der Klinik für Kardiologie und Angiologie des Universitätsklinikums in Münster klar. „Als Arzt will ich jedoch sicher sein können, dass ich meinen Patienten nicht schade. Daher halte ich weitergehende Untersuchungen für dringend notwendig“, betont Reinecke.
Auch der Geschäftsführer der DGA, Michael Lichtenberg vom Klinikum Hochsauerland, sieht Handlungsbedarf. „In den Therapiestudien wird bislang noch viel zu wenig berücksichtigt, welche Folgen eine Behandlung langfristig hat“, bemängelt er auf Anfrage. Dieser Aspekt sollte aber viel mehr Beachtung finden.
Mit einer raschen Klärung der drängenden Sicherheitsfrage ist trotzdem nicht zu rechnen. Jedenfalls dann nicht, wenn man ihr in neuen Therapiestudien auf den Grund geht. Denn solche Untersuchungen sind nicht nur langwierig, sondern obendrein extrem teuer. Ein anderer Weg wäre, das gesundheitliche Schicksal aller Patienten, die bereits mit Paclitaxel freisetzenden Ballonkathetern und Stents behandelt wurden, im Detail zu verfolgen.
Dieser Ansatz könnte gleichsam auf Knopfdruck Antworten liefern, zumal die Daten größtenteils schon vorhanden sind. Darüber hinaus hätte er den Vorteil, dass er keine Idealzustände kreiert, wie das in Therapiestudien so oft der Fall ist. Die Auswertung des Ist-Zustands liefert ein realistisches Abbild des klinischen Alltags – mit all den typischen Unzulänglichkeiten. Eine solche Versorgungsforschung hat hierzulande allerdings weiter einen schweren Stand – unter anderem, weil sie nur spärlich finanziert wird.