Risiko Kindertabletten : Die vergessenen Patienten
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Hinter rezeptfreien Medikamenten können gefährliche Nebenwirkungen für Kinder lauern. Bild: picture-alliance/ ZB
Noch immer erhalten Kinder Medikamente, bei denen man nicht genau weiß, ob sie überhaupt wirken und wirklich sicher sind. In Arzneimittelstudien werden die kleinen Patienten selten berücksichtigt - auch um zu sparen.
Haben Sie schon einmal versucht, eine Tablette in zehn Teile zu zerbröseln? Von „dosieren“ kann dann keine Rede mehr sein. Kinderärzte, die ein Milligramm einer Arznei zur Therapie von Säuglingen benötigten, sind in einem Dilemma, wenn es nur Darreichungen ab zehn Milligramm aufwärts gibt. Genau diese Ungenauigkeit will nun der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kranken Kindern weiterhin zumuten, die an einer angeborenen Schwäche ihrer Nebennierenrinde leiden: Sie können selbst kein Hydrocortison herstellen, brauchen es als Arznei – und dies so exakt wie möglich dosiert.
Denn zu wenig ist lebensbedrohlich, und eine Überdosis stört das Wachstum, schwächt die Knochen und macht die Kinder pummelig. Nun gäbe es ein neues Medikament, Alkindi, das als Hydrocortisongranulat eine exakte Dosierung von sogar unter einem Milligramm für Säuglinge und wenigen Milligramm für Kleinkinder und Schulkinder erlaubt. Es wurde im Rahmen eines Sonderzulassungsverfahrens eigens dafür entwickelt. Der G-BA – dieses Gremium entscheidet, was die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen müssen und was nicht – senkt jedoch den Daumen und verneint einen Zusatznutzen.
Zu kleinen Erwachsenen degradiert
Hydrocortison sei schließlich ein altbekannter Wirkstoff. Dass der Zusatznutzen gerade darin besteht, nun gefahrlos dosieren zu können, dass dies sogar europaweit als eigenes Zulassungskriterium anerkannt ist, schert ihn offenbar nicht. Dabei ist gerade die Therapie von Kindern mit Hydrocortison seit langem ein schwieriges Unterfangen. Sind die Eltern auf die Herstellung durch Apotheker angewiesen, können sie nur beten. Eine Überprüfung ergab, dass bei mehr als der Hälfte der individuell hergestellten Kapseln entweder keinerlei, zu wenig oder abenteuerlich zu viel Hydrocortison enthalten war. Deutsche Pädiater kämpfen seit Jahrzehnten dafür, dass aus ebendiesem Grund Medikamente für Kinder nicht nur besser getestet, sondern auch besser dosierbar hergestellt werden.
Der jüngste Beschluss degradiert Kinder wieder einmal gegen jede Ratio zu kleinen Erwachsenen. Im konkreten Fall wären die Kosten für diese Gruppe von schwerkranken Kindern sogar so gering, dass sie in unserem Gesundheitsbudget kaum zu Buche schlügen. Aber der G-BA signalisiert, dass ihm die Betroffenen nicht einmal diese geringen Beträge wert sind.
Die Industrie weiß nun, dass alle Bemühungen, exakte Zubereitungen für Kinder zu kreieren, nicht honoriert werden. Schon jetzt gibt es kaum Spezialzulassungen für kindgerechte Darreichungsformen, das dürfte sich angesichts der jüngsten Botschaft nicht ändern. Diese lautet, dass man dort zu sparen gedenkt, wo der geringste Widerstand zu erwarten ist: bei den Schwächsten.