Psychotherapie trotz Covid-19 : Skype für die Seele
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In vielen Kliniken bleiben die Therapieräume leer. Ambulante Psychotherapeuten bieten Videosprechstunden an. Bild: dpa
Corona zehrt an den Nerven. Besonders schwer ist diese Zeit für Menschen, die schon unter Depressionen oder Angststörungen leiden. Wie funktioniert Psychotherapie in Zeiten der Pandemie?
Ob Gespräche mit einem Therapeuten in Alien-Verkleidung wirklich helfen können, stellte Dietrich Munz, Präsident der Deutschen Bundespsychotherapeutenkammer, schon vergangene Woche in Frage. Maske und Schutzanzug tragen kaum zu einer vertrauensvollen Atmosphäre zwischen Therapeuten und Patienten bei. Doch ist es wichtig, psychotherapeutische Behandlungen weiterhin zu ermöglichen, besonders für diejenigen, die den bedrückenden Umständen wenig entgegenzusetzen haben. Wie gelingt das?
In Deutschland gehen etwa vier Millionen Menschen pro Quartal zu niedergelassenen Psychotherapeuten oder Psychiatern, 800.000 Fälle werden im Krankenhaus behandelt. Nun sind die Flure in einigen der für sie zuständigen Kliniken leer, Ärzte und Pfleger bereiten sich auch dort auf den erwarteten Corona-Ansturm vor. „Wir mussten rund dreißig Prozent unserer Patienten entlassen“, sagt Andreas Heinz, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité am Campus Mitte. Eine Station wurde ganz für Covid-19-Patienten frei gemacht. Die meisten Kliniken stehen in der Pflicht, ein bestimmtes Gebiet psychiatrisch zu versorgen. „Bei uns ist das Berlin-Mitte“, sagt Heinz. Rund die Hälfte der psychiatrischen Patienten würde hier als Notfall über Nacht eingeliefert, oft von der Polizei. Auch wer aus eigenem Antrieb Hilfe sucht, kann sicher sein: Notfälle werden weiterhin behandelt. Patienten, die teilweise schon lange auf einen Therapieplatz gewartet haben, etwa zur Depressionsbehandlung, mussten die Ärzte indes absagen. In den Ambulanzen der Kliniken werden Rezepte teils per Post verschickt und Gespräche möglichst am Telefon geführt, lieber häufiger statt einer langen Sitzung. „Der Kontakt muss intensiver sein, wenn Patient und Therapeut sich nicht gegenübersitzen“, sagt Heinz.
Code für den digitalen Therapeuten
Therapeuten in Praxen bieten zunehmend Videosprechstunden an. Seit vergangener Woche können diese wie normale Sitzungen abgerechnet werden und auch Erstgespräche geführt werden. Der Patient öffnet eine Art medizinisches Skype, tippt den Code ein, den sein Behandler per E-Mail geschickt hat und wartet, bis dieser auf dem Bildschirm erscheint. Jedoch scheinen die Netze schon jetzt überlastet zu sein: Bei manchen Sitzungen hängt die Übertragung, andere können gar nicht erst verbunden werden. Konkrete Daten gibt es noch keine, doch Gebhard Hentschel, Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung, schätzt, dass rund jede zehnte Sitzung digital stattfindet: „Wir haben weiterhin die Möglichkeit, Patienten in der Praxis zu treffen.“ Wie viele seiner Kollegen hat auch Hentschel Vorkehrungen getroffen: Man bleibt auf Abstand, Patienten werden so einbestellt, dass keine Wartesituation entsteht. Allein durch diese Maßnahmen sei Corona in den Therapiegesprächen sehr präsent, berichtet Hentschel. Auch wer vorher nicht unter Ängsten gelitten hätte, sei nun verunsichert.
Hentschel überlegt derzeit, wie sich mit vielen anderen Psychotherapeuten aus Münster eine Art Krisentelefon einrichten ließe. „Wir überlegen, eine Bereitschaft wechselnd zu verteilen“, sagt er. So wäre immer ein ausgebildeter Psychotherapeut erreichbar. Solche Netzwerke und Beratungsangebote gibt es im ganzen Land: Die Hochschulambulanz für Psychotherapie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat ein Sorgentelefon eingerichtet, um den Menschen zu helfen, mit Ängsten vor Krankheit, dem Verlust von sozialen Kontakten, Einsamkeit und Stress-Situationen umzugehen. Unter der Nummer 0431/22180024 werden ab kommenden Montag Psychotherapeuten werktags zwischen 9 und 11 Uhr erreichbar sein. Ein ähnliches Angebot gibt es von der Goethe-Universität in Frankfurt unter der Nummer 069-79846666.
Unterdessen haben Psychologen vom King’s College in London in „The Lancet“ berichtet, wie sich Quarantäne auf die psychische Gesundheit auswirkt: Je länger die Isolation anhält, desto häufiger treten posttraumatische Stresssymptome, Ärger und Verwirrung auf, die teils noch Monate nach dem Ende der Einsamkeit anhalten können. Die Forscher analysierten Studien zu früheren Seuchenausbrüchen, etwa Sars in China im Jahr 2003. Die lassen sich jedoch nicht direkt auf die generellen Kontaktverbote oder Ausgangssperren von heute übertragen. „Traumatisierungen, die aus einer Katastrophe resultieren und alle Menschen gleichzeitig betreffen, sind meist einfacher zu verarbeiten, als wenn man individuell als Person betroffen ist, etwa bei einem Überfall oder einer Vergewaltigung“, erklärt Heinz. „Derzeit sehen wir Solidarisierungseffekte.“ Die Menschen zeigen sich kooperativ und unterstützen die Maßnahmen. Auf Dauer allerdings verstärkt soziale Isolation psychische Erkrankungen.