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Thrombosen : Gefäßverschluss durch die Pille

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Bild: dpa

Die Antibabypille ist wegen des Risikos von Thrombosen wieder ins Visier der Behörden geraten: Welches Präparat ist das sicherste? Momentan sind Pillen aus den sechziger Jahren der Favorit.

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          Antibabypillen mit einem Östrogen- und Gestagenanteil erhöhen das Risiko für tiefe Venenthrombosen und, falls sich ein Blutgerinnsel losreißt und in die Lunge gelangt, auch für eine Lungenembolie. Ein bis zwei Prozent dieser Ereignisse enden tödlich. Das Risiko hängt im Wesentlichen von der Östrogenkomponente ab. Deren Konzentration ist allerdings in den vergangenen Jahren so weit abgesenkt worden, dass bei den heute verfügbaren Kombinationspräparaten auch die Gestagenkomponente einen Einfluss hat. Da es mehrere davon gibt, stellt sich die Frage, welche Gestagenkomponente das geringste Risiko für einen lebensgefährlichen Gefäßverschluss birgt. Derzeit spricht einiges für das aus den sechziger Jahren stammende Levonorgestrel.

          Das Risiko des moderneren und teureren Drospirenon musste von den Arzneimittelbehörden mehrmals neu bewertet werden. In Deutschland ist dieser Wirkstoff in den Produkten Yasmin/Yasminelle, Aida, Yaz und Petibelle enthalten. Zwei vom Hersteller Bayer gesponserte Studien hatten zunächst nahegelegt, dass das Risiko von Drospirenon dem von Levonorgestrel entspricht. Vier später erschienene unabhängige Studien zeichnen allerdings ein anderes Bild. In diesen Studien war das Risiko mit Drospirenon gegenüber dem älteren Gestagen 1,64 bis 3,3fach erhöht. Die europäische Arzneimittelagentur hat diese unabhängigen Studien schon vor Monaten zum Anlass genommen, in allen Staaten der Europäischen Union eine Änderung der Packungsbeilage anzuordnen. Dort steht heute, dass „epidemiologische Studien gezeigt haben, dass das Risiko einer venösen Thromboembolie bei Drospirenon haltigen oralen Kontrazeptiva höher ist als bei Levonorgestrel-haltigen oralen Kontrazeptiva (Präparaten der zweiten Generation) und möglicherweise dem Risiko Desogestrel-/Gestoden-haltiger oraler Kontrazeptiva (Präparate der dritten Generation) ähnlich ist.“

          Gefährliche Blutgerinnsel

          Die dritte Generation galt schon länger als risikoträchtiger als die zweite Generation. Ein Beratergremium der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) hat im Dezember ebenfalls eine Änderung der Packungsbeilage beschlossen, allerdings soll dort nicht stehen, dass das Risiko für gefährliche Blutgerinnsel mit Drospirenon höher ist als mit Levonorgestrel, sondern nur, dass es widersprüchliche Studienergebnisse dazu gibt. Bei der Abstimmung über das Verhältnis von Nutzen und Risiko des Drospirenons fiel das Votum in der FDA mit 15 zu 11 Stimmen zugunsten des Nutzens aus. Kurz darauf wurde mitgeteilt, dass mindestens vier an der Abstimmung beteiligte Personen in der Vergangenheit finanzielle Beziehungen zu Bayer gehabt haben (“British Medical Journal“, Bd. 344, S.244).

          Wie hoch ist nun das Risiko für eine Thromboembolie? In der Packungsbeilage der Kombinationspräparate mit Drospirenon wird es nur für die anderen Gestagenkomponenten angegeben, nicht für den Wirkstoff selbst. Auch die Europäische Arzneimittelagentur nennt keine Zahl. Von 100 000 Frauen, die keine weiteren Risikofaktoren haben, also zum Beispiel nicht übergewichtig sind oder rauchen, und ein Jahr lang eine Levonorgestrel-Pille einnehmen, erleiden etwa zwanzig eine venöse Thromboembolie. Mit einer Pille der dritten Generation trifft es etwa vierzig von 100000 Frauen pro Jahr, und ohne Pille etwa fünf bis zehn. Bei einer Schwangerschaft liegt das Risiko über dem der Pille, nämlich bei sechzig Frauen auf 100000 Schwangerschaften pro Jahr. Am größten ist das Risiko jeweils in den ersten zwölf Monaten nach der ersten Einnahme der Pille.

          Gibt es den „Figur-Bonus“?

          In Deutschland werden seit der Zulassung von Drospirenon im Jahr 2000 zwölf Todesfälle mit der Einnahme in Verbindung gebracht. Drospirenon entzieht dem Körper auch Natrium und Wasser. Der Hersteller hat daraus in der Vergangenheit einen „Figur-Bonus“ abgeleitet. Michael Ludwig, Leiter des Amedes Zentrums in Hamburg, macht deshalb auch das Verschreibungsverhalten für einen relevanten Anteil des ermittelten Thromboserisikos verantwortlich: „Man weiß aus Anwendungsbeobachtungen, dass kombinierte Kontrazeptiva mit Drospirenon bevorzugt übergewichtigen Frauen verschrieben werden.“ Hintergrund ist, dass viele Frauenärzte davon ausgehen, dass es gewichtsreduzierend wirken könnte. „Studien, die dies zeigen, existieren allerdings nicht. Da sich diese Auffassung hält, werden diese Präparate bevorzugt Frauen mit einem erhöhtem Thromboserisiko verordnet. Dies mag in Registerauswertungen dazu führen, dass ein erhöhtes Thromboserisiko auftaucht, das dann dem Drospirenon zugeschrieben wird.“ Sollte Frauen also eine Pille der älteren Generation verordnet werden? Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat den Ärzten vor wenigen Wochen geraten, das geringere Risiko für Thromboembolien bei der Auswahl einer Pille zu berücksichtigen. Das gelte vor allem, wenn zusätzliche Risikofaktoren vorliegen (“Deutsches Ärzteblatt“, Bd. 108, S. A2442).

          In der Bekanntmachung der Kommission heißt es, dass in einer Fallkontrollstudie mit Drospirenon eine fast fünffache Erhöhung des Thromboembolierisikos gegenüber Levonorgestrel in der Gruppe der unter dreißigjährigen Frauen aufgefallen sei. Daher sollte insbesondere in dieser Altersgruppe bevorzugt Levonorgestrel eingesetzt werden, auch wenn aus kosmetischen Gründen häufig die Verordnung von Drospirenon erwogen werde. Die Frauen sollten bei der Verordnung zudem auf das Risiko für gefährliche Blutgerinnsel und deren Warnzeichen sowie weitere Risikofaktoren hingewiesen werden Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sagte auf Anfrage, dass sie derzeit auch eine Stellungsnahme dazu vorbereite. In den Vereinigten Staaten haben schon mehr als zehntausend Frauen Bayer auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagt. Auch aus Deutschland sind Klagen gegen den Hersteller eingereicht worden.
           

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