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Sepsis-Therapie : Infektion außer Kontrolle

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Reagenzien, die für den Gerinnungstest einer Blutprobe benötigt werden: Bei der Sepsis ist die Blutgerinnung stark eingeschränkt.

Reagenzien, die für den Gerinnungstest einer Blutprobe benötigt werden: Bei der Sepsis ist die Blutgerinnung stark eingeschränkt. Bild: dpa

Paul Ehrlich nannte sie "Horror autotoxicus": die Sepsis, eine eskalierende Infektion. Bei der Behandlung gibt es kaum Fortschritte. Haben schwer Betroffene eine Immunschwäche?

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          Wer im gerade vergangenen Jahr mit Fortschritten bei der Behandlung der Sepsis, einer außer Kontrolle geratenen Infektion, gerechnet hat, wird enttäuscht worden sein. Im Januar gab das japanische Unternehmen Eisai bekannt, dass sein Wirkstoff Eritoran in einer großen klinischen Studie durchgefallen ist. Im Oktober musste das amerikanische Unternehmen Eli Lilly das einzige bisher gegen Sepsis zugelassene Medikament Xigris wieder vom Markt nehmen, nachdem sich die schon vor zehn Jahren bei der Zulassung geäußerten Zweifel an seiner Wirksamkeit und Sicherheit bestätigt hatten.

          Damit reihen sich die beiden Substanzen in eine Liste von mehr als 25 gescheiterten klinischen Entwicklungen gegen Sepsis ein. Derek C. Angus von der Universität Pittsburgh fragt deshalb in der Zeitschrift JAMA, ob die Ursachen richtig verstanden worden sind und ob die aktuellen Therapiekonzepte überarbeitet werden müssen (Bd. 306, S. 2614). Angus reagiert damit auch auf eine Veröffentlichung von Jonathan S. Boomer von der Medizinischen Fakultät der Universität Washington im gleichen Heft (Bd. 306, S. 2594). Boomer und seine Kollegen haben Gewebeproben von an Sepsis verstorbenen Patienten untersucht und dabei deutliche Anzeichen für eine Immunschwäche gefunden.

          Erschöpfung der Immunzellen

          Die für die Sepsis typische Überaktivität des Immunsystems, die zu einer massenhaften Ausschüttung von Botenstoffen und zu der aus dem Ruder laufenden Entzündung führt, scheint am Anfang der Sepsis aufzutreten. Später kommt es offensichtlich zu einer Erschöpfung der Immunzellen, die in einer Immunschwäche mündet. "Die meisten Kandidaten aus der klinischen Entwicklung sind darauf ausgerichtet gewesen, die Entzündung und die Aktivierung des Immunsystems zu blockieren. Obwohl solche Therapien vielleicht in der Frühphase erfolgreich sind, können sie schädlich sein, wenn sie in der immunsuppressiven Phase verabreicht werden", schreiben Boomer und seine Kollegen in JAMA.

          Bei der Sepsis eskaliert eine Infektion, etwa eine Lungenentzündung oder eine infizierte Operationswunde. Paul Ehrlich nannte sie "Horror autotoxicus". Der Körper kann den Infektionsherd nicht mehr auf seinen Ursprungsort begrenzen, sondern muss erleben, wie die von den Bakterien abgegebenen Giftstoffe überall zu heftigen Entzündungsreaktionen führen, den Flüssigkeitshaushalt durcheinanderbringen, die Gerinnungskontrolle demontieren und die Organe schädigen. Die Eskalation verläuft in drei Stufen. Sie beginnt mit der Sepsis, geht über in die schwere Sepsis, bei der ein Organ versagt, bis hin zum septischen Schock, bei dem mehrere Organe versagen. Das Kompetenznetz Sepsis hat vor wenigen Jahren nachgewiesen, dass in Deutschland jeden Tag 162 Patienten an dieser Eskalation sterben. Die Zahl ist fast so hoch wie die Zahl der Herzinfarkttoten. Damit ist die Sepsis die dritthäufigste Todesursache, obwohl sie nur selten in der Todesursachenstatistik erscheint, weil dort nur die Grunderkrankungen gelistet werden. Ein Drittel aller intensivmedizinischen Kosten entstehen bei der Behandlung der Sepsis.

          Auch harmlose Keime werden zum Verhängnis

          Boomer und seine Kollegen knüpfen mit ihrer Untersuchung an eine klinische Beobachtung an. Nach der Frühphase können den Patienten auch harmlose Keime zum Verhängnis werden, und in dieser Zeit können auch schlummernde Viren wieder aktiv werden. Beides spricht für eine Immunschwäche. Boomer und seine Kollegen konnten diese nun in der Lunge und der Milz nachweisen. Die Gewebeproben stammten von vierzig Patienten, die die Sepsis nicht überlebt haben. Das Kontrollgewebe war hirntoten Organspendern entnommen worden oder stammte von Patienten, denen nach einem Unfall die Milz entfernt werden musste. Die Sepsis-Proben zeigten mehrere Anzeichen einer Immunschwäche. Die aus den Proben in Kultur genommenen Zellen schütteten neunzig Prozent weniger Botenstoffe aus als die Zellen aus den Kontrollproben.

          Die Immunzellen trugen Rezeptoren auf der Oberfläche, die auf den Empfang von dämpfenden Signalen ausgerichtet waren. Die Zahl der Zellen, die die Abwehr unterdrücken, war erhöht worden. Auch das Umgebungsgewebe gab Signale ab, die das Immunsystem drosselten. Boomer und seine Kollegen verweisen auch auf die Schwächen der Untersuchung. So seien nur wenige Fälle untersucht worden. Es sei zudem nur Gewebe von Patienten mit fataler Erkrankung analysiert worden. Deshalb sei nicht klar, ob auch diejenigen, die die Sepsis überleben, eine Immunschwäche entwickeln. Die Patienten der Kontrollgruppe seien außerdem besser ernährt und insgesamt gesünder gewesen. Peter Ward von der Michigan School of Medicine verweist in einem Kommentar in JAMA auf mögliche Zielmoleküle, die sich aus der Untersuchung ergeben (Bd. 306, S. 2618). Angesichts der vielen Rückschläge und der seit Jahrzehnten hohen Sterblichkeit seien dringend neue Strategien erforderlich.

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