Risiko Cannabis : Der Lockruf der „weichen“ Droge
Nach Plänen der mexikanischen Regierung sollen Anbau und Vermarktung von Cannabis bald freigegeben werden. Auch Privatpersonen dürften dann eine gewisse Menge zum Eigenbedarf anbauen. Bild: dpa
Cannabis soll harmlos sein? Zwei Brüder hat die Droge abstürzen lassen ins „Tal der Todesangst“, in den Selbstmord. Ein Besuch bei einer bürgerlichen Familie, für die Drogenmündigkeit nur eine Leerformel ist.
Exakt 1226 Drogentote, so viel zählt das Bundeskriminalamt diesmal. Doch Franks Name würde, wenn es eine Opferliste gäbe, sicher fehlen. Ein Jahr davor, 2014, waren es noch fast zwanzig Prozent weniger. Auch da würde ein Name in der Statistik fehlen: Christoph, Freitod mit dreißig Jahren, hatte sich im Sommer die Pulsadern aufgeschnitten. Frank, sein vier Jahre älterer Bruder, erhängte sich zehn Monate später.
Ihr Vater weiß jetzt, wie die Hölle aussieht. Sie ist für ihn mit grünen Stauden und aromatischen Blüten gepflastert. Mit tränenerstickter Stimme, den Kopf tief geneigt, steht Norbert Bierbaum-Hillejan neben dem „Altar“ - ein freistehender, zentraler Tisch im Wohnzimmer, ausstaffiert mit Fotodrucken und Erinnerungskarten. Ein privates Pantheon, das hier schon monatelang zwischen Stilmöbeln steht, geschmackvollen Kunstwerken an der Wand und dem Wintergarten, der einen atemberaubenden Blick freigibt in den parkähnlichen Garten. „Wir sind Cannabis-Opfer“, sagt Norbert Bierbaum-Hillejan, „für uns gibt es keinen Seelenfrieden mehr.“
In Ochtrup hatte die Familie alles, um ihren zwei Söhnen und zwei Töchtern einen perfekten Start ins Leben zu bieten. Er, Geschäftsführer in einem Münchener Versicherungsweltkonzern, Chef von mehr als siebenhundert Dienstleistern; seine Frau, Antonia Hillejan, Allgemeinärztin und Psychotherapeutin. Keine zwanzig Kilometer ist es von hier, der ruhigen Kleinstadt nicht weit von Münster, bis zur niederländischen Grenze. „Wir leben in einer cannabisverseuchten Region“, sagt er, jede Schule im Umkreis werde bestens versorgt aus dem Nachbarland.
Rauschmittel aus Cannabis, der Hanfpflanze, zählen ebenso wie die getrockneten Blätter, das Marihuana, und der aus dem Pflanzenharz hergestellte Haschisch zu den illegalen Drogen. Doch was bedeutet das schon? Die Drogenbeauftragte rechnete vor: 2,4 Millionen im Land sollen 2013 Cannabis konsumiert haben, 220 000 von ihnen gelten als abhängig. Mindestens eine halbe Million vorwiegend junger Leute, so gehen die Hochrechnungen weiter, habe „Probleme“ mit dem Cannabiskonsum, klage also über psychische und/oder körperliche Schäden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat im Vorjahr ermittelt: 17,7 Prozent der 18- bis 25-Jährigen haben mindestens einmal Cannabis konsumiert, vor sieben Jahren waren es noch 11,6 Prozent. Der Göttinger Jurist Gunnar Duttge nannte das in der „Zeitschrift für Medizinrecht“ den „Lockruf Cannabis“.
Ein Lockruf, der im politischen Milieu immer stärker Widerhall findet und uralte Parolen wie „Recht auf Rausch“ oder „Kiffer sind keine Verbrecher“ zu konkreten politischen Utopien reifen lässt. Liberalisierung, Entkriminalisierung, Freigabe - mit dem bundesgrünen „Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes“ sollen Modellvorhaben zur Cannabisfreigabe flankiert werden. In Bremen, Hamburg, Berlin und auch in Flächenländern wie Hessen. Tatsächlich hat das Demoskopische Institut Allensbach ermittelt: Nur noch 38 Prozent - gegenüber 56 Prozent vor vier Jahren - befürworten eine strafrechtliche Verfolgung des Cannabishandels. Die Hälfte der Strafrechtler im Land hatte in einer Bundestagspetition die Entkriminalisierung zwecks Trockenlegung des Schwarzmarktes angemahnt. Begründung, unter anderem: Die meisten Drogenkonsumenten könnten „ein normales Leben“ führen.