https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/resistenzgen-bedroht-das-antibiotikum-colistin-14021597.html

Antibiotikum für Tiermast : Der bedrohte Wunderwirkstoff

  • -Aktualisiert am

Doch nicht unschlagbar: Gegen das Antibiotikum Colistin, das vorwiegend bei Mastgeflügel eingesetzt wird, gibt es ein übertragbares Resistenzgen. Bild: AFP

Das Antibiotikum Colistin ist eine effiziente Waffe gegen gefährliche Keime. Doch es bilden sich auch hier erste Resistenzen. Der Grund ist die Verwendung bei der Tiermast.

          3 Min.

          Das Antibiotikum Colistin gilt als eine der letzten Bastionen gegen multiresistente, gramnegative Keime. Seit im November des vergangenen Jahres bekanntgeworden ist, dass es ein übertragbares Resistenzgen gegen dieses Reserveantibiotikum gibt, herrscht weltweit Alarmstimmung. Man befürchtet, dass sich das Resistenzgen ausbreitet und dass es bald Infektionen geben wird, die nicht mehr zu bekämpfen sind.

          Entdeckt wurde das Colistin-Resistenzgen, das die Bezeichnung mcr-1 hat, in China. Jetzt ist es auch in Deutschland nachgewiesen worden, nachdem es zuvor schon positive Befunde aus Dänemark, England, Frankreich und Thailand gegeben hatte. Das Mcr-1-Gen ist nicht im Erbgut der gramnegativen Bakterien verankert, sondern auf einem mobilen Plasmid lokalisiert, das leicht von einem Keim auf den nächsten übertragen werden kann, was sein Auftreten so brisant macht.

          Mastgeflügel am häufigsten betroffen

          Das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin informierte vor kurzem die Öffentlichkeit darüber, dass das Mcr-1-Gen in deutschen Nutztierbeständen weit verbreitet ist, am häufigsten bei Mastgeflügel. Der überregionale Forschungsverbund „Reset“, der sich mit der Resistenzlage bei gramnegativen Bakterien in Deutschland beschäftigt, hat das mobile Colistin-Resistenzgen in vier Proben seiner umfangreichen Stammsammlung nachgewiesen. Drei der resistenten Keime waren bei Schweinen sichergestellt worden. Es handelt sich bei den Keimen in allen drei Fällen um das Darmbakterium Escherichia coli. Das vierte Colistin-resistente Bakterium, ebenfalls ein Escherichia coli, stammt aber aus der infizierten Wunde eines Patienten und ist somit ein klinisches Isolat. Dieser Wundkeim ist auch gegen Carbapenem-Antibiotika resistent, die ebenfalls als Reserveantibiotika gelten, was für zusätzliche Brisanz sorgt. Die Ergebnisse des Reset-Forschungsverbunds sind jetzt in der Zeitschrift „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlicht worden.

          Die kommenden Monate werden nun zeigen müssen, wie verbreitet das mobile Colistin-Resistenzgen unter den multiresistenten Keimen in den deutschen Arztpraxen und Kliniken tatsächlich ist. Weil das Antibiotikum in der Medizin nur selten verwendet wird, lastet im klinischen Umfeld derzeit noch kein Selektionsdruck auf dem Mcr-1-Gen. Das ist in der Tiermedizin allerdings anders, weshalb das Auftreten der Resistenz bei Nutztieren keine Seltenheit mehr ist. Colistin gehört in Europa zu den fünf meistgenutzten Antibiotika in der Nutztierhaltung. Der Wirkstoff ist Ende der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zugelassen worden. Er wird in der Humanmedizin nur deshalb als Reserveantibiotikum verwendet, weil er nicht besonders gut verträglich ist. Im Ernstfall treten die Nebenwirkungen aber in den Hintergrund. Die Weltgesundheitsorganisation zählt Colistin daher zu den unverzichtbaren Medikamenten in der Humanmedizin, trotz seiner massenhaften Verwendung bei der Tiermast.

          Diese Praxis galt bisher als vertretbar, weil in den zurückliegenden Jahrzehnten keine mobilen Colistin-Resistenzgene aufgetreten sind. Es gab zwar gelegentlich eine an das bakterielle Erbgut gebundene Resistenz, die sich aber nicht nennenswert ausgebreitet hat, weil das Erbgut nicht wie ein Plasmid übertragen wird. Deshalb fühlte man sich mit Colistin bisher auf der sicheren Seite. Als sich in China bei Routinekontrollen ein sprunghafter Anstieg der Colistin-Resistenz zeigte, war klar, dass es ein mobiles Resistenzgen geben musste. Beim genauen Hinsehen wurde dann das mcr-1-Gen entdeckt.

          mcr-1-Gen seit mindestens fünf Jahren in Deutschland

          Das Robert Koch-Institut hat vor wenigen Wochen klinische Labors in Deutschland aufgefordert, ihre Colistin-resistenten klinischen Proben an die entsprechenden Referenzlabore zu schicken, um das genaue Ausmaß der Resistenz in Deutschland zu erfassen. Da eine der resistenten Proben aus der Reset-Sammlung bereits im Jahr 2010 sichergestellt worden ist, muss das mcr-1-Gen seit mindestens fünf Jahren in Deutschland vorhanden sein. Somit hat es auch mindestens seit dieser Zeit Gelegenheiten zur Übertragung gegeben.

          Wie hoch das Risiko durch das mobile Resistenzgen hierzulande sei, lasse sich derzeit nicht beziffern, sagt auch Can Imirzalioglu von der Universität Gießen. Der stellvertretende ärztliche Leiter der Medizinischen Mikrobiologie ist an den Untersuchungen im Reset-Verbund beteiligt gewesen. In China hätten ein Prozent der zur Abklärung von Infektionen eingereichten klinischen Proben Colistin-resistente Bakterien enthalten, sagte Imirzalioglu auf Anfrage. In England und den Niederlanden seien ähnliche Prozentwerte im Gespräch.

          Das Aufkommen der mobilen Colistinresistenz macht noch einmal deutlich, wie wichtig der verantwortungsvolle Umgang mit Antibiotika in der Human- und der Tiermedizin ist. Resistenzgene etablieren sich erst durch Selektionsdruck. Das gilt auch im Tierstall. Weltweit werden knapp 12.000 Tonnen Colistin produziert und verwendet. Das meiste kommt in China zum Einsatz. In Deutschland werden rund 100 bis 125 Tonnen pro Jahr verbraucht. Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer hat die Colistin-Resistenz bei einer Veranstaltung in Berlin unlängst als „Alarmsignal“ bezeichnet und sich für eine One-Health-Strategie starkgemacht, in der Human- und Tiermedizin gleichermaßen in den Blick genommen werden. David Paterson und Patrick Harris von der Universität Queensland in Brisbane haben China aufgefordert, die Verabreichung von Colistin gänzlich einzustellen oder rapide zu begrenzen. Vielleicht wäre das in Deutschland auch an der Zeit.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Gespräch an einem kleinen Tisch: Xi und Putin am Montag im Kreml

          Xi bei Putin : Ein Tête-à-Tête ungleicher Partner

          Der chinesische Staatschef Xi Jinping ist bei Wladimir Putin in Moskau eingetroffen. Gegenüber dem Gast aus Peking tritt Russlands Präsident ungewohnt devot auf.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.