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Reformschwache Transplantationsmedizin : Organe en vogue

Start der Kampagne „Das trägt man heute: den Organspendeausweis“ mit Biathletin Kati Wilhelm in Berlin. Bild: dpa

Die Grundreinigung nach dem Transplantationsskandal sieht so aus: Organspende mit Promi-Kampagne reinwaschen, sonst nur nicht zuviel bewegen. Ein System ohne großen Reformwillen.

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          Von Modezar Karl Lagerfeld stammt eine bitterböse Bemerkung, die man aktuell gerne den Trendsettern im deutschen Transplantationsgewerbe auf die blanke Brust bügeln würde: „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Das System macht nämlich neuerdings in Mode: „Das trägt man heute: den Organspendeausweis.“

          Über Stil und Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, erst recht über die Designs der bisher jeweils sang- und klanglos endenden Organspende-Kampagnen. Hose nach der Herstellung eingelaufen. Tatsächlich stagnierte die Zahl der Organspenden jahrelang, ehe sie nach dem Bekanntwerden des Transplantationsskandals im vergangenen Jahr sogar drastisch runterging auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren. Die neue Modekampagne mit Prominenten könnte man deshalb auch als stilloses Mittel interpretieren, schnell neuen moralischen Druck zum Spenden aufzubauen. Hier wird der Staat mit einem seiner seltenen Vorrechte im Transplantationswesen an die Front geschickt. Der Rest ist Privatsache. Dass weder das Ministerium noch ein anderes demokratisch legitimiertes oder kontrolliertes Organ, sondern weiter die Vereine der ärztlichen Selbstverwaltung und die Medizinzaren darüber entscheiden, wie die knappen Organe und damit Lebenschancen von Schwerstkranken verteilt werden, soll nach den gegenwärtigen Vorstellungen zur Novellierung des Transplantationsgesetzes auch so bleiben.

          Als der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, Hans Lilie, vom „hohen Maß an Flexibilität und Schnelligkeit“ sprach, das er sich für das Transplantationsgewerbe wünscht, hatte er deshalb auch nicht die Entscheidung des Ministeriums zur neuen Organspendekampagne im Auge, sondern das System also solches: Finger weg von einer Verstaatlichung. Als würden sich die privaten Jogginghosen besser tragen. „Staatliche Systeme“, sagte Lilie gegenüber dieser Zeitung, hier brav dem unbelehrbaren Ärztepräsidenten Montgomery sekundierend, „mögen in kleinen Ländern (Anm. der Red.: gemeint ist die Schweiz) funktionieren, wo das Transplantationswesen übersichtlich ist . . .“ Was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Undurchsichtigkeit des hiesigen Transplantationsgewerbes nicht nur gelitten, sondern weiter gewünscht wird.

          Warum wohl waren die verantwortlichen Ärzte zu den Manipulationen mit Spenderlebern an vier Transplantationszentren bereit? Doch wohl, weil sie sich unter dem Schirm von Intransparenz und Selbstkontrolle sicher fühlten. Es reicht eben nicht, ein System, das, wie der Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, Reiner Hess, zugibt, immer noch „Fehlanreize“ bietet, in neu designte Trainingshosen zu stecken. Als wäre Vertrauensbildung ein Modethema.

          Joachim Müller-Jung
          Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

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