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Psychose-Früherkennung : Stärker sein als die Geister

  • -Aktualisiert am
SPI-CY, ein strukturiertes Interview, ist das erste Instrument zur Psychose-Früherkennung im Kindesalter

SPI-CY, ein strukturiertes Interview, ist das erste Instrument zur Psychose-Früherkennung im Kindesalter Bild: Schoepal, Edgar

Emma, acht Jahre, hört Stimmen und sieht Geister - aber kann das schon eine Psychose sein? Deutsche Forscher entwickelten jetzt das erste Diagnose-Instrument für die Früherkennung von Psychosen bei Kindern und Jugendlichen.

          12 Min.

          Emmas Vater nennt das, was sich an einem ganz normalen Abend kurz vor dem Beginn der Sommerferien ereignete, den „Zusammenbruch“. Emma war an diesem Tag noch nicht ganz acht Jahre alt und besuchte die zweite Klasse der Grundschule. „Auf einmal hat Emma bitterlich angefangen zu weinen“, sagt Emmas Vater. „Und dann hat sie gesagt, dass sie Stimmen im Kopf hat, die ihr sagen, was sie zu tun hat. Und die Stimmen schicken ihr Kreaturen, und wenn sie nicht tut, was ihr gesagt wird, dann schicken sie Blut.“

          Emma heißt in Wirklichkeit nicht Emma, und für diesen Artikel konnte sie nicht besucht oder fotografiert werden. Denn zum einen ist Emma nach jenem Abend lange Zeit ängstlich, unruhig und verzweifelt gewesen, und ihre Eltern wollten sie nicht noch zusätzlich verunsichern, indem sich immer mehr Menschen für ihren Zustand interessieren. Zum anderen ist mit der Krankheit, an der Emma vermutlich leidet, „das übliche gesellschaftliche Problem“ verbunden. So formuliert es Emmas Vater, der sich lange damit auseinandergesetzt hat, wie er den Lehrern in der Grundschule und den Eltern von Emmas Freundinnen begegnen soll. „Wie transparent geht man damit um, dass Emma krank ist?“, fragt der Vater. Das Wort „krank“ klingt dabei wie ein Ersatz für etwas, was er lieber noch nicht aussprechen möchte; für eine Diagnose nämlich, die nicht nur mit einem Stigma behaftet ist wie kaum eine andere, sondern auch besonders unerwartet wirkt im Zusammenhang mit einem Kind in Emmas Alter. Die Ärzte der Kölner Kinder- und Jugendpsychiatrie schließen nicht aus, dass Emma an einer Psychose erkrankt ist, und zwar an einer sogenannten „very-early onset“-Psychose. So bezeichnet man Psychosen, deren Vollbild vor dem 13. Lebensjahr beginnt - im Unterschied zu den „early onset“-Psychosen“, die vor dem 18. Lebensjahr auftreten, und zu „adult onset“-Psychosen mit Beginn der klar psychotischen Symptome nach dem 18. Lebensjahr. Letztere machen zwar den Löwenanteil aus, aber immerhin fünfzehn Prozent der Psychosepatienten haben einen „early onset“. Ob die Psychose zu einer Schizophrenie wird oder es sich um eine manisch-depressive Erkrankung handelt, bei der wahnhafte Phasen auftreten - anfangs wird von Diagnostikern bewusst noch kein Unterschied gemacht, denn gerade bei jungen Erkrankten ist offen, wohin sich die Symptome entwickeln.

          Früherkennungszentren sind rar

          Es war Zufall, dass Emmas Kinderarzt, den die Eltern nach dem abendlichen Zusammenbruch um Rat fragten, sie an die Kölner Uniklinik überwies. Hier befindet sich eins der rar gesäten Zentren für die Früherkennung von Psychosen im Kindes- oder frühen Jugendalter. Wenige Tage nach dem Zwischenfall wurde die fast Achtjährige hier schon zur Diagnostik einbestellt und engmaschig überwacht, dreimal pro Woche konnte sie zu Gesprächen und in die Kunsttherapie kommen. Emma hat den Therapeuten erzählt, dass sie manchmal das Gefühl hat, nicht in ihrem Körper zu sein und alles nur zu träumen, und dass sie sich auch fragt: Gibt es mich wirklich? Mit der Therapeutin hat Emma eine Kiste gebastelt, in der sie die Geister, die Stimmen und die Ängste einsperrt. Die Kiste wurde fest zugeschnürt. Aber einmal am Tag müssen alle Geister rausgelassen werden.

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