Präimplantationsdiagnostik : Als Hilfe fürs Wunschkind
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In der Brüsseler Universitätsklinik werden befruchteten Eizellen, die sich bereits mehrfach geteilt haben, Proben für die PID entnommen Bild: Wohlfahrt, Rainer
Die Präimplantationsdiagnostik wird nur zu einem geringen Teil dazu verwendet, nach Erbkrankheiten zu suchen, zeigen Studien. Wozu dient sie stattdessen?
In Deutschland ist im vergangenen Jahr die Präimplantationsdiagnostik (PID) zwar höchstrichterlich erlaubt worden. Sie ist allerdings noch nicht wirklich in nennenswertem Umfang medizinische Praxis geworden, da es weiterhin an einer klaren und verbindlichen Rechtsgestaltung mangelt. Deutsche Fertilitätskliniken werden daher in absehbarer Zeit erst einmal wenig zu der Datensammlung der Europäischen Gesellschaft für Humane Reproduktion und Embryologie (ESHRE) beizutragen haben. Die ESHRE sammelt regelmäßig die aus Reproduktionskliniken freiwillig zur Verfügung gestellten Informationen über die Anwendung und den Erfolg der genetischen Untersuchungen, die an Embryonen vor der Einpflanzung in die Gebärmutter vorgenommen werden. Ihre jüngste Veröffentlichung im Juli belegt, dass die PID eigentlich nur zu einem geringen Teil von jenen genetisch schwer belasteten Paaren genutzt wird, für die sie so vehement erstritten wurde.
Insgesamt 53 Kliniken aus hauptsächlich europäischen Ländern haben ihre Daten zur Verfügung gestellt. Für das Kalenderjahr 2008 wurde das Schicksal von 5641 aus dem Mutterleib entnommenen Eizellen verfolgt, die nach Befruchtung einer PID zugeführt werden sollten. Da hierzulande seinerzeit rechtlich noch keine Biopsie am Embryo gestattet war, konnten deutsche Kliniken hierzu kaum etwas beitragen; es gibt nur einige wenige Fälle von Polkörperanalysen, die jedoch nicht am Embryo, sondern in dessen Vorstadien vorgenommen werden und keine vollständige Genanalyse ermöglichen.
Ungerichtete Suche nach allen möglichen Defekten
Die Daten der ESHRE belegen: Die PID diente nur in 1363 Fällen, also in weniger als einem Viertel der Fälle, dazu, jenen Paaren, die um eine Erbkrankheit in der Familie wussten, Klarheit über die genetische Belastung des von ihnen gezeugten Embryos zu verschaffen. Bei allen anderen verfolgte die Entnahme von Zellen aus dem Embryo andere Zwecke (“Human Reproduction“, Bd. 27, S. 1887).
Der Hauptgrund ist demnach nicht die Vermeidung von Leiden wie der Mukoviszidose oder der Glasknochenkrankheit. Es geht vielmehr um die ungerichtete Suche nach allen möglichen Defekten in den Embryonen jener Paare, die unfruchtbar sind, bei denen indes keine Erbkrankheit bekannt ist. Dieses Screening soll dazu dienen, die künstliche Befruchtung erfolgreicher zu machen. Denn wenn bei manchen kinderlosen Paaren regelmäßig alle Versuche fehlschlagen, im Labor ein Kind zu zeugen, so könnte das daran liegen, dass man Embryonen einzupflanzen versucht, die lediglich „suboptimale“ Überlebenschancen haben. Hypothetisch könnte man die Erfolgsraten erhöhen, wenn man zuvor nur die gesunden und besten Embryonen mittels PID erkennt und für die Einpflanzung in den Mutterleib auswählt. Der Ansatz ist nicht zuletzt deshalb umstritten, weil ein überzeugender wissenschaftlicher Nachweis, dass diese Form der Selektion tatsächlich die Ergebnisse der künstlichen Befruchtung verbessert, aussteht. Dennoch sind mehr als viertausend der an die ESHRE gemeldeten PID- Fälle genau deswegen vorgenommen worden. Ein Vergleich mit den Verhältnissen in den Vereinigten Staaten zeigt, dass die europäischen Zentren im Hinblick auf alle anderen denkbaren Anwendungen noch weitgehend konservativ agieren. Auch dort wird die PID vorwiegend zum Screenen benutzt, ebenfalls nur ein geringer Teil dient dem gezielten Aufspüren einer bekannten Erbkrankheit (“Journal of Medical Ethics“, doi:10.1136/ medethics-2011-100154 ).
Suche nach Brustkrebs-Genen
In den Vereinigten Staaten bieten - so lautet eine Zahl aus dem Jahr 2008 - 272 Zentren verschiedene Testverfahren für Embryonen an. Mehr als ein Viertel der Zentren offerieren zudem die Suche nach Genen, die lediglich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Risiko für Krankheiten bergen, die erst im Erwachsenenalter auftreten, etwa Brustkrebs, Darmkrebs oder Alzheimer-Demenz. 42 Prozent der Kliniken bieten die PID an, um allein das Geschlecht des Kindes zu bestimmen; sei es, um schon beim ersten Kind festzulegen, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden soll, oder um zur Ausbalancierung der Familie bei einer oder mehreren Töchtern endlich den ersehnten Sohn zu zeugen oder umgekehrt um dem oder den männlichen Nachkommen auch ein Mädchen hinzuzufügen.
Drei Prozent der amerikanischen Kliniken versuchen überdies, behinderten Paaren den Wunsch nach einem ebenfalls gleichartig behinderten Kind zu erfüllen, mittels PID etwa für gehörlose Eltern ein genetisch erkennbar gehörloses Kind aus den Embryonen auszuwählen. Eine im Jahr 2009 gestartete Initiative einiger Fertilitätskliniken, auch die Auswahl von Augenfarbe und Haarfarbe in ihr Angebot aufzunehmen, ist seinerzeit aufgrund öffentlicher Proteste wieder gestoppt worden. Im Vergleich dazu sind der ESHRE nur wenige Versuche gemeldet worden, mittels PID unabhängig von allen Krankheitsrisiken allein um des Geschlechts willen eine Embryonenauswahl vorzunehmen. Ob diese Zurückhaltung auch daher rühren mag, dass die künstliche Zeugung mit anschließender Diagnostik am Embryo noch lange keine Schwangerschaft garantiert, oder unter europäischen Paaren auf andere Vorbehalte zurückgeht, ist unklar. Von den ausschließlich zur Wahl des Geschlechts gewonnenen 47 Eizellen (die Zahl der Frauen, denen sie entnommen wurden, ist nicht genannt) konnten nur 32 befruchtet werden, bei 23 daraus entstandenen Embryonen wurden eine oder mehrere Zellen zur Diagnostik entnommen, bei siebzehn gelang eine Diagnose, aber nur noch acht eigneten sich danach noch dafür, in die Gebärmutter eingesetzt zu werden. Fünf wurden dann schließlich übertragen, aber keiner der Embryonen nistete sich ein, zu einer Schwangerschaft kam es nicht.