Organspendeskandal: das Interview : „Die Unverfrorenheit ist erschütternd“
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Wolfram Höfling vom Institut für Staatsrecht der Universität Köln Bild: IMAGO
Gefälschte Labordaten, manipulierte Warteliste. Die Transplantationsmedizin steht nach dem Göttinger Skandal am Pranger. Krise in der Organspende. Wer greift durch?
In dem großen Klagen über den Organmangel steckt schon seit Jahren der Vorwurf, dass das System hierzulande nicht funktioniert. Nach den Vorfällen in Göttingen fragt man sich, ob es überhaupt noch zu verantworten ist, wenn man es so leicht manipulieren kann. Ist mit dem neuen, mühsam ausgehandelten Transplantationsgesetz überhaupt noch irgendwas zu retten?
Ich glaube, der Göttinger Skandal wird in einem Jahr vergessen sein. Ich sehe die gravierenden Auswirkungen allein dieses Skandals auf die Spendebereitschaft noch nicht. Ich glaube aber auch nicht, dass die Neuregelungen das Spendeaufkommen wirklich erhöhen werden. Und schließlich glaube ich auch nicht, dass mit der sogenannten Informationslösung jetzt tatsächlich die handelnden Akteure bereit sind, die angemessenen Informationen für eine reflektierte Entscheidung zur Verfügung zu stellen. Und da liegt das eigentliche Problem: Das Transplantationssystem hat bisher als ein in sich geschlossenes, auf eigenen Regeln basierendes System funktioniert. Die Verantwortlichen werden alles daran setzen, wie das der Präsident der Bundesärztekammer formuliert hat, diese fundamental missverstandene Form von ,Selbstverwaltung“ aufrecht zu erhalten. Zum Beispiel sagt man jetzt, ab sofort wwird man mit vier Augen draufsehen statt mit zweien, aber es sind eben genau die vier Augen, die schon im System sind und nicht etwa externe Kontrollen.
Was kann die Politik also tun?
Die Politik müsste diesen kriminellen Fall zum Anlass nehmen, endlich über grundlegend neue Strukturen nachzudenken.
Und wie soll man praktisch erreichen, dass die Verantwortlichen in ein System der Kontrolle eingebunden werden, das sich nicht selbst beaufsichtigt?
Der Konstruktionsfehler besteht, und das schon seit Mitte der neunziger Jahre, darin, die schon vorhandenen Strukturen gleichsam normativ einzufangen und einzuhegen mit ein paar zusätzlichen Regelungen. Der Gesetzgeber hat grundsätzlich auf eine eigene Steuerungskraft verzichtet. Das sieht man schon daran, dass für die Organvermittlungsstelle eine Formulierung gefunden wurde, die es möglich machte, dass diese außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes liegt. Der Weg war schon damals auf Eurotransplant in Leiden gerichtet. Wir haben es also mit privatrechtlich organisierten Akteuren zu tun ohne hinreichende demokratische Legitimation und ohne hinreichende Einbindung in ein staatliches Kontroll- und Rechtsschutzsystem. Es ist erstaunlich, dass man dies trotz vieler Fälle in den letzten Jahren, an denen sich gezeigt hat, wie intransparent und unkontrolliert die Abläufe sind, aufrecht erhalten werden konnte.
Ein Veränderungswille ist auch jetzt nicht wirklich erkennbar.
Die Regierung ist ganz offensichtlich nicht bereit, etwas zu unternehmen. Das Erstaunliche ist, dass mit der Umsetzung des Gewebegesetzes, der letzten Änderung des Transplantationsgesetzes, eine europäische Regelung umgesetzt werden musste, in der der europäische Gesetzgebers klare Vorgabe gemacht hat - etwa die, dass die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer hinsichtlich des Umgangs mit Gewebe rückgebunden sein muss an eine staatliche Genehmigung. In diesem weniger sensiblen Bereich der Gewebespende hat man jetzt den Staat einbinden müssen. Doch anstatt das zum Anlass zu nehmen, das gesamte System darauf umzustellen wie es die Schweiz noch viel weiter verwirklicht hat, hat man sonst alles so gelassen wie es ist.