Organspende: Ein Insider klagt an : Im Transplantationsskandal gibt es viele Täter
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Nieren-Entnahme im Krankenhaus Bild: AP
Am Uniklinikum Göttingen ist viel schief gelaufen, aber es sind die Mängel in den Strukturen, die Manipulationen ermöglichen. Ein runder Ministertisch hilft nicht.
Ausgangspunkt der aktuellen Debatte um die Transplantationsmedizin sind Manipulationen von medizinischen Daten in der Absicht, für Patienten über einen höheren „Meld-Score“ auf der Warteliste von Eurotransplant eine bessere Plazierung zu erwirken. Möglicherweise ist in diesem Zusammenhang auch Geld geflossen. Es handelt sich dabei um kriminelle Handlungen einer bisher nicht bekannten Zahl von Tätern. Befasst man sich näher mit den Umständen, stellt sich die Frage, wie sich die Aufklärung gestaltet. Welche Umstände haben solche Taten ermöglicht, und ist möglicherweise das Transplantationswesen in Deutschland selbst involviert?
Transplantationen berühren nicht nur das Gesundheitswesen, sondern auch das Wissenschafts- und Rechtssystem. Komplexe Zusammenhänge sollten deshalb nach Akteuren und Handlungsfeldern getrennt betrachtet werden.
Aufklärung und Täterermittlung sind primär Aufgabe von Staatsanwaltschaft und Polizei. Diese sind seit November 2011 durch den Vorstand der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) eingeschaltet. Nach mehr als sieben Monaten sind uns Ergebnisse oder Zwischenbefunde nicht bekannt.
Nun gehört die Analyse von medizinischen Datenmanipulationen nicht zum Alltagsgeschäft dieser Behörden. Wissen und Kompetenz sind ebenso wenig für sie unmittelbar verfügbar wie Erfahrungsroutinen. Auch hört man, diese Ermittlungsbehörden seien notorisch überlastet und müssten immer wieder neue Priorisierungen vornehmen. Ohne Ergebnisse durch diese kriminalistischen Vollprofis werden aber Aufklärungen nicht gelingen und Schlussfolgerungen nur schwer zu ziehen sein. Sie sind letztlich vor den Gerichten die einzigen wirklich unabhängigen Player.
Das kann man von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) nicht behaupten. Sie war Empfänger eines anonymen telefonischen Hinweises am 2. Juli 2011. Sie hat ihn an die Bundesärztekammer (BÄK) weitergeleitet. Warum nicht an die Staatsanwaltschaft, frage ich, war doch der Aspekt möglichen kriminellen Handelns überevident. Seit 13 Monaten hat die DSO es nicht für nötig befunden, die Leitung der Göttinger Universitätsmedizin anzuschreiben, geschweige denn hat sie sich offiziell dazu geäußert, wie es aus ihrer Sicht zu den Manipulationen kommen konnte und was künftig zur besseren Prävention anders organisiert werden müsste. In genau diesem Zeitraum war die DSO massiv mit internen Querelen auch in der Öffentlichkeit beschäftigt. Vielleicht hat sie dies davon abgehalten, sich um diese Problematik angemessen zu kümmern.
Ähnlich lang ist die Bundesärztekammer involviert. Sie untersucht den Komplex seit mehr als 13 Monaten. Sie hat auch zuerst über Monate selbst ermittelt und erst zu einem späteren Zeitpunkt sich an die Staatsanwaltschaft gewandt. Der Kommission gehören unter anderem Chirurgen/Transplanteure und Juristen an. Zwar werden immer wieder aus dieser Kommission Einzelinformationen an die Medien gegeben, Ergebnisse und Zwischenbefunde liegen bis heute nicht vor. Also kann die Selbstverwaltung der Ärzte auch nach mehr als einem Jahr keine Einschätzung geben, wie es zu diesem Skandal kommen konnte und was man anders organisieren sollte.
Vielleicht mangelt es dieser Kommission grundsätzlich an der notwendigen Unabhängigkeit. Nur ist es natürlich auch schwer möglich, die notwendige Kompetenz verfügbar zu machen, ohne zu viel Betroffenheit mit einzukaufen. Dieses Dilemma der medizinischen Selbstverwaltung hat die BÄK ebenso wenig gelöst wie die Frage, ob es für Mediziner rechtsfreie Räume gibt, in denen sie vorermitteln können, um dann gegebenenfalls zu entscheiden, ob sie die staatlichen Organe der Rechtspflege und -verfolgung einschalten.