Bakterien im Gehirn : Was hat Zahnfleisch mit Alzheimer zu tun?
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Ist krankes Zahnfleisch die Ursache für Demenz? Bild: obs
Noch immer sind die Ursachen der Demenz unklar. Deshalb konnte auch der Erreger der Parodontitis unter Verdacht geraten. In Experimenten förderten die Keime tatsächlich die Verklumpung im Gehirn.
Trotz jahrzehntelanger Forschung ist nach wie vor unklar, wie Alzheimer-Demenz entsteht. .Umso überraschender ist eine kürzlich in der Zeitschrift „Science Advance“ erschienene Veröffentlichung, die eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparats für die Demenz verantwortlich macht. Ein an der Entzündung beteiligtes Bakterium soll in das Gehirn einwandern und die Nervenzellen schädigen. Die Alzheimer-Demenz wäre dann die Folge einer Infektion aus dem Mund – so sehen es jedenfalls Stephen S. Dominy und seine Kollegen. Dominy ist Mitbegründer des amerikanischen Unternehmens Cortexyme Inc. in San Francisco, das die Untersuchungen finanziert hat. Er und seine Kollegen hegen die Hoffnung, der Alzheimer-Forschung durch ihre Entdeckungen eine neue Stoßrichtung gegeben zu haben.
Anlass für diese Hoffnung ist die Tatsache, dass sich das Bakterium Porphyromonas gingivalis im Gehirn und der Rückenmarksflüssigkeit von Alzheimer-Patienten nachweisen lässt. Dieses Bakterium gehört zu den prominentesten Übeltätern bei einer chronischen Parodontitis. Tierversuche belegen, dass es tatsächlich vom Mund ins Gehirn wandern und dort dieselben gewebezerstörenden Enzyme freisetzen kann wie im Mund. Das hat bei den Tieren zu ähnlichen Schäden an den Nervenzellen geführt wie bei einer Alzheimer-Demenz. Dominy und seine Kollegen konnten des Weiteren zeigen, dass die Mäuse auf diese Schäden mit einer erhöhten Produktion an Beta-Amyloid reagieren, dem Proteinfragment, das in den Alzheimer-Plaques zu finden ist.
Seit Robert Moir vom Massachusetts General Hospital in Boston gezeigt hat, dass Tiere, die als Modelle für die Demenz dienen, durch Beta-Amyloid vor Infektionen im Gehirn geschützt werden, ist dieses Proteinfragment als zelluläres Antibiotikum im Gespräch. Auch Dominy und seine Kollegen halten das Beta-Amyloid für eine antibakterielle Substanz und sehen in der Erhöhung seiner Konzentration den Versuch des Gehirns, die Infektion mit dem Parodontitis-Bakterium abzuwehren.
Doch eine andere Ursache?
Die Forscher haben einen Wirkstoff isoliert, der die von den Bakterien freigesetzten Enzyme blockiert. Im Tierversuch ließ sich damit die Zerstörung der Nervenzellen im Gehirn verhindern. Dominy und seine Kollegen haben auch erste klinische Untersuchungen vorgenommen. Der Wirkstoff soll gut vertragen werden und bei einigen Probanden mit Alzheimer-Demenz zu einer Verbesserung der Gedächtnisleistungen geführt haben. Für dieses Jahr ist eine große klinische Studie geplant, die zeigen soll, wie wirksam diese Verbindung tatsächlich ist.
Markieren diese Ergebnisse eine Trendwende bei der Alzheimer-Forschung? Robert Moir sagte gegenüber der Zeitschrift „Science“, dass er sich sehr gut vorstellen könne, dass das Bakterium zur Alzheimer-Demenz beitrage, dass er aber nicht glaube, dass es die Ursache der Demenz sei. Menschen mit einer Alzheimer-Demenz haben nicht selten eine schlechte Mundhygiene, weil sie Schwierigkeiten mit der Körperpflege haben. Bei Demenzkranken ist auch die Blut-Hirn-Schranke durchlässiger als üblich. Beides könnte dazu führen, dass die Bakterien ins Gehirn gelangen.
Das wäre dann aber eine Folge der Erkrankung, nicht ihre Ursache. Auch nicht jeder Alzheimer-Patient hat eine Parodontitis. Über die Bedeutung dieser Forschung wird man letzten Endes mehr über den Weg der klinischen Studie erfahren. Wirkt die Substanz bei Patienten mit Alzheimer-Demenz, kann man davon ausgehen, dass die Infektion mit dem Parodontitis-Bakterium tatsächlich etwas mit der Erkrankung zu tun hat. Die Antwort wird allerdings noch einige Jahre auf sich warten lassen.