Retortenbabys : Ein total vergreistes Gesetz
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Kneift die Politik weiter? Die Reproduktionsmedizin stellt das Kinderkriegen auf den Kopf und nichts passiert. Jetzt drängt die Nationalakademie, das alte Embryonenschutzgesetz zu ersetzen - und staunt, was sich im Alpenraum tut.
Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als 80.000 künstliche Befruchtungen vorgenommen – Tendenz steigend. Kinderlosigkeit wird immer weniger akzeptiert. Hinzu kommt: Die Frauen wollen später ein Kind, immer öfter suchen sie Hilfe in den Reproduktionskliniken. Viele suchen auch, weil ihnen Möglichkeiten wie Leihmutterschaft oder Eizellspende hierzulande verwehrt bleiben, den Weg ins Ausland. Das allein wäre nach dem Dafürhalten der Nationalakademie Leopoldina schon Grund genug, das bald dreißig Jahre alte Embryonenschutzgesetz endlich zu reformieren.
Die Schweiz und Österreich haben in der Zwischenzeit nicht nur moderne Fortpflanzungsmedizingesetze, sie haben sie auch jeweils schon wieder reformiert und dem jeweiligen Stand der Medizin und Biologie angepasst. Auch hierzulande brodelt es seit Jahren: Im Ethikrat der Bundesregierung, in den Fachgesellschaften und in den Wissenschaftsakademien hat das einst als bioethischer Stacheldraht zwar nicht immer geliebte, aber doch respektierte Embryonenschutzgesetz jeden Kredit eingebüßt.
Die Fachleute schütteln den Kopf über die Begriffe und Prämissen, die weiter unangetastet in dem Gesetz stehen: Die Definitionen des „Embryo“ oder „Totipotenz“ sind seit langem schon von den zell- und molekularbiologischen Fakten überholt oder jedenfalls völlig unzureichend erfasst, viele auch in Deutschland längst übliche Praxen, etwa das Einfrieren (Kryokonservierung) von Eizellen sind vollkommen ungeregelt.
Eine aus Medizinern, Biologen, Ethikern und Juristen zusammengesetzte sechzehnköpfige Arbeitsgruppe der Nationalakademie hat deswegen nun ein Diskussionspapier veröffentlicht, das schon in seiner kompromisslosen, bar jeder Politphrasen formulierten Eindeutigkeit für politischen Druck in der kommenden Legislaturperiode sorgen könnte (siehe die „Zusammenfassung“ im Kasten unten. Die anstehende Bundesregierung wird aufgefordert, „ein umfassendes Fortpflanzungsmedizingesetz zu schaffen“.
Ein Gesetz voller Defizite
Im Grunde dokumentiert das Papier das Politikversagen in einem der zentralen deutschen Forschungsfelder. Weder die Wertediskussionen der letzten Jahrzehnte (die „Stammzelldebatte“) noch die medizinischen Fortschritte und erst recht nicht die biomedizinischen Möglichkeiten in der Zukunft, die sich für Menschen und Paare aus den Fortschritten in den Labors und Kliniken weltweit ergeben, werden im gültigen Embryonenschutz adäquat abgebildet. „Überholt“, „widersprüchlich“, „nicht sinnvoll anwendbar im Gesetz“ – in der zwölfseitigen Schrift finden sich in praktisch jedem Absatz die Versuche, die Defizite möglichst klar zu benennen. Mehr noch: Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Homosexuellen, Unverheirateten, ja auch der Retortenkinder werden als Folge der Gesetzespraxis seit 1990 gebrandmarkt.
Dass das Embryonenschutzgesetz von den Parteien und im Parlament seitdem nie ernsthaft überprüft wurde, wird längst auch von einzelnen Politikern kritisiert – oder wenigstens bedauert. Ein Grund für den fehlenden Reformwillen liegt darin, dass praktisch jede Gruppierung sich den Vorwurf ersparen wollte, den vor allem von den Kirchen verteidigten und in kaum einem anderen Land so konsequent umgesetzten Lebensschutz für Embryonen irgendwie aufzuweichen.
Das Embryonenschutzgesetz gibt dem in der Verfassung klar geregelten Schutz der Menschenwürde besonders stark Ausdruck – allerdings auch nur für Embryonen, die im Reagenzglas gezeugt und übertragen oder in medizinischen Forschungslabors erzeugt werden, was in Deutschland kategorisch ausgeschlossen wird. Für andere Beobachter wirkt immer noch die scharfe gesellschaftliche Diskussion um den „Abtreibungsparagrafen“ 218 nach und die Angst, ein so bioethisches „heißes Eisen“ wie den Umgang mit werdendem Leben für alle befriedigend regeln zu wollen.
Der Regelungsbedarf jedenfalls ist nun enorm, wie die Nationalakademie an einigen Beispielen deutlich macht:
- Durch das Verbot, nur diejenigen im Reagenzglas gezeugten Embryonen in die Frau zu übertragen, die die besten Entwicklungschancen haben („elektiver Single-Embryo-Transfer“), was medizinisch internationaler Standard ist, werden nach dem Dafürhalten der Akademie „Mehrlingsschwangerschaften mit Frühgeburten in Kauf genommen, die erhebliche Gesundheitsrisiken insbesondere für die Kinder mit sich bringen“.
- Das Verbot von Eizellspenden führe, wie die nun schon langjährigen Erfahrungen im Ausland gezeigt haben, nicht zu einer „gespaltenen Mutterschaft“. Es gebe „keine bedeutsamen Nachteile für die Entwicklung und das Wohlbefinden der Kinder und der Eltern-Kind-Beziehung“.
- Auch bei der Samenspende gebe es Regelungsbedarf, weil die rechtliche Zuordnung eines Kindes nur in eine Ehe hineingeboren werden. Nichteheliche Kinder haben kein sicher geregeltes Recht, ihre Herkunft zu erfahren.
- Selbst wenn man Leihmutterschaften hierzulande weiterhin ablehnen würde, so die Nationalakademie-Mitglieder, müsste auch hier einiges geregelt werden. Denn bei den im Ausland bei Leihmüttern geborenen und hier lebenden Kindern, die an Zahl weiter zunehmen, ist die „rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung“ nicht geklärt. Davon aber hängen Unterhaltsansprüche, Sorgerechtsregelungen und anderes ab.
-Völlig ungeregelt ist der Umgang mit den aus medizinischen Gründen (Krebs der Mutter) oder aus beruflichen Gründen („social freezing“) in den Medizinzentren eingefrorenen Eizellen – auch dies eine Praxis, die immer öfter in Anspruch genommen wird. Ebenso „Klärungsbedarf“ – und schon Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten – besteht bei der Aufbewahrung von Keimzellen und Embryonen, die von einem inzwischen verstorbenen Partner stammen.
Zusammenfassung des Diskussionspapiers
„Die rechtliche Regelung der Fortpflanzungsmedizin ist dringend reformbedürftig. Das Embryonenschutzgesetz von 1990 erfasst die neuesten technischen Entwicklungen nicht, ist in manchen Bereichen unstimmig und lückenhaft, setzt die betroffenen Frauen, Paare und Kinder unnötigen gesundheitlichen Risiken aus, erschwert paradoxer-weise die Durchsetzung von Kinderrechten und erzeugt Gerechtigkeitsprobleme und Rechtsunsicherheit für die betroffenen Paare und die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.
Das Embryonenschutzgesetz enthält zudem nur strafrechtliche Verbote. Diese erlauben keine angemessene Reaktion auf die medizinische Entwicklung und den gesellschaftlichen Wandel und werden der Komplexität der Materie nicht gerecht. Diese Probleme müssen gelöst werden. Der Bundesgesetzgeber verfügt seit mehr als 20 Jahren über die Kompetenz zur Regelung der Fortpflanzungsmedizin. Er sollte in der kommenden Legislaturperiode ein umfassendes Fortpflanzungsmedizingesetz schaffen.“