Blutsauger : Die Mücken sind los
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Von diesem Schwarm geht keine Gefahr aus: Es sind harmlose Zuckmücken, zudem Männchen – die saugen sowieso nie Blut. Bild: dpa
Nach den Regenfluten droht eine weitere Plage: Die Blutsauger, die viele als Schnaken bezeichnen, finden jetzt überall Brutplätze. Und in einem Fall ist das mehr als nur lästig.
Seit vierzig Jahren kämpft Norbert Becker gegen die Stechmückenplage am Rhein, aber dieses Jahr sei extrem: „Das ist schon die zehnte Hochwasserwelle.“ Äcker verwandeln sich in Wasserwüsten, die Baggerseen sind randvoll, und die Rheinauen stehen knietief unter Wasser. „Wir sind im Moment permanent im Einsatz, dabei kommen wir zu Fuß oft nicht einmal in die jeweiligen Gebiete. Viele Wege sind überschwemmt.“ Einen Großteil der Arbeit übernimmt deshalb der Hubschrauber, sonst würde man „in Mücken ertrinken“.
Hunderte Helfer sind unterwegs, um im Auftrag der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (KABS) in den Rheinauen nach Brutstätten zu suchen. Wird eine bestimmte Larvendichte bemerkt, wird ein bakterielles Gift ausgebracht, um die Insekten schon im frühen Entwicklungsstadium abzutöten: Bti heißt es, weil es ursprünglich vom Bacillus thuringiensis israelensis stammt. In diesem Jahr wurden laut Becker schon 270 Tonnen Bti-Granulat verteilt, 2015 waren es 200.
Debatte um die biologische Bekämpfung
Der Einsatz ist nicht unumstritten, da unter anderem in artenreiche Naturschutzgebiete eingegriffen wird und nach Meinung der Kritiker nicht völlig geklärt scheint, ob durch das Toxin nicht die gesamte Fauna und Vielfalt in Mitleidenschaft gezogen wird. Schließlich ernähren sich zahlreiche Vögel, Fische, Fledermäuse und Amphibien von Insekten. Die Befürworter halten dem entgegen, dass in der verwendeten Konzentration nur die Blutsauger durch diese Form biologischer Bekämpfung zu Schaden kommen, nicht jedoch harmlose Mücken oder anderes Getier. An der Universität Koblenz-Landau gehen Ökologen dieser Schlüsselfrage derzeit in mehreren Testreihen nach, wobei eine ihrer Versuchsanordnungen gerade in den unerwartet hohen Rheinfluten „abgesoffen“ ist, wie sie erzählen. Die Debatte jedoch ist damit noch lange nicht am Ende.
Die Regierungspräsidien in Freiburg und Karlsruhe sind zuständig, wenn Bti in Schutzgebieten eingesetzt werden soll, und müssen der KABS eine entsprechende Genehmigung erteilen. Wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte, bestünden insoweit keine Bedenken, da das Mittel „übergangsweise biozidrechtlich zugelassen“ sei. Auch lägen genügend fachliche Grundlagen vor, um die rechtlich gebotenen Entscheidungen zu treffen. Allerdings prüfe man derzeit noch die Darstellung der Umweltverträglichkeit, die von der Aktionsgemeinschaft im November 2015 eingereicht wurde.
Überall Wasserpfützen, dazu schwülwarme Temperaturen, die beste Brutbedingungen bieten und die Entwicklung beschleunigen: „Im Vergleich zu den beiden vergangenen Jahren herrschen prima Startbedingungen für die Saison“, sagt Doreen Walther. „Genial – aus Sicht der Mücken“, wie sie lachend ergänzt. An künstlichen und natürlichen Brutplätzen bestehe jetzt kein Mangel, ob aber auch im Juli und August eine Plage droht, vermag selbst die Spezialistin vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung im brandenburgischen Müncheberg nicht vorauszusagen.
Insekten per Post
Die Biologin erhält Insekten aus ganz Deutschland mit der Post, denn sie kümmert sich um den „Mückenatlas“, an dem sich Freiwillige aller Alters- und Berufsgruppen beteiligen und dafür ihre Funde nach Brandenburg schicken. An einem Beispiel kann Walther deshalb verdeutlichen, warum die aktuelle Situation so besonders ist: Normalerweise landet Aedes geniculatus, die ihre Eier in wassergefüllte Baumhöhlen legt, selten in Walthers Postfach, nun stellt die Art jede dritte oder vierte Mücke. Von den 28 in Deutschland vorkommenden Mückenfamilien zählen nur vier tatsächlich blutsaugende zu ihren Mitgliedern: die Stech-, Kriebel- und Schmetterlingsmücken sowie die Gnitzen. Die großen, behäbigen Schnaken, Tipulidae, gehören nicht dazu. Und was der Volksmund gerne als lästige „Rheinschnake“ anprangert, kennen Biologen als die einheimische Stechmücke Aedes vexans.