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Multiple Sklerose : Jenseits von Kortison

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Selbstbildnis einer Fotografin, die an Multiple Sklerose leidet: Aus der Serie „Falling Into Place“ Bild: Patricia Lay-Dorsey

Für Menschen, die an multipler Sklerose leiden, bieten Antikörper-Therapien eine Chance, die noch immer rätselhafte Krankheit aufzuhalten. Nicht ohne Risiko.

          7 Min.

          Normalität kann so ermüdend sein. Manchmal, stöhnt Anke Wanka, fühle sie sich schon mittags so, als hätte sie zwei Nächte durchgemacht. Dabei könne von Schlafmangel gar keine Rede sein, aber Normalität ist im Fall der 39-Jährigen relativ.

          Vor zwölf Jahren lag Anke Wanka (Name von der Redaktion geändert) nahezu unbeweglich in einem Krankenhausbett. Einmal vors Bettgitter treten mit dem Fuß hieß ja, zweimal nein - mehr Kommunikation war nicht möglich: Zunge, Arme oder Bein - nichts wollte den Befehlen des Gehirns noch richtig gehorchen. Und heute? Heute sagt die mit Jeans und Turnschuhen sportlich gekleidete Frau: „Ich fühl mich toll.“ Trotz multipler Sklerose. „Manchmal“, schränkt sie ein.

          Im Alter von 24 Jahren hatte diese rätselhafte Autoimmunkrankheit und Nervenentzündung bei ihr plötzlich angefangen. Ihre Hände kribbelten und fühlten sich taub an. Bald schien es, als müsste sie jedem Beinmuskel einzeln befehlen, den nächsten Schritt vorwärts zu machen. Zwei Jahre nach der Diagnose wurde sie schwanger, und ihr Immunsystem griff den Körper so heftig wie nie zuvor an.

          Heute können die meisten Betroffenen ein fast normales Leben führen

          Erst mit Medikamenten-Kombinationen jenseits der Zulassungsgrenzen, erzählt Sebastian Rauer, ihr Arzt in der Universitätsklinik Freiburg, habe man damals die Patientin wieder aus dem Klinikbett bekommen. Ihre Lähmungen, Gleichgewichts- und Sehstörungen blieben jedoch, bis Tysabri kam. Für die Betroffenen selbst ein „Wundermittel“: Vielleicht ist ihr Gang noch immer etwas hölzern, die Sprache leicht verwaschen, wenn man genau darauf achtet, aber die lebenslustige Frau sagt, dass es ihr oft so gut gehe, „dass ich vergesse, dass ich krank bin“.

          Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren betreut Sebastian Rauer, leitender Oberarzt in der Freiburger Neurologie, MS-Patienten. Noch vor zehn Jahren, erinnert er sich, habe er stets mit einem beklemmenden Gefühl vor neuen Patienten gesessen: „Ich konnte ihnen ja immer nur eine sehr ungewisse Zukunft versprechen.“ Häufig Rollstuhl und Frühverrentung. „Heute“, so der Neurologe, „kann ich den Patienten sagen, dass wir ihre Krankheit wahrscheinlich stoppen können.“ Heinz Wiendl, der Direktor der Klinik für Allgemeine Neurologie am Universitätsklinikum Münster, klingt kaum weniger optimistisch: „Bis zu achtzig Prozent unserer Patienten können wir ein fast normales Leben garantieren.“

          Man weiß, was passiert. Aber warum, ist immer noch unklar

          Als der französische Neurologe Jean-Martin Charcot 1868 erstmals die multiple Sklerose (MS) beschrieb, stand die Medizin mit leeren Händen da. Elektrischer Strom, Aderlass, Arsen - die Reihe der vergeblichen Hilfsversuche ist lang. Ende der 1950er Jahre probierte ein britischer Mediziner erstmals das körpereigene Hormon Kortison an seinen Patienten aus und hatte damit nicht nur das erste wirksame Medikament entdeckt. Der Erfolg ließ zudem auf die Ursache der Krankheit schließen: Kortison, mit dem nach wie vor MS-Schübe bekämpft werden, unterdrückt im Körper die Abwehrreaktion. Also schien ein Autoimmungeschehen für die Entzündungen im Nervensystem verantwortlich zu sein.

          Inzwischen ist bekannt, dass die Abwehrzellen der MS-Kranken das Myelin, die Isolierhülle der Nerven, als vermeintlich fremd angreifen. In regelrechten Schüben, zwischen denen Monate der vermeintlichen Ruhe liegen können, werden die sogenannten Nervenscheiden attackiert. Dadurch ihrer Isolation beraubt, können die Leitbahnen elektrische Befehle des Gehirns nur schlecht übermitteln; die Tast- und Temperaturfühler in der Peripherie haben ebenfalls Mühe, ihre Signale zu melden. Schließlich gehen die Nerven zu Grunde; später verselbständigt sich der Zerstörungsprozess oft, schreitet im Stillen weiter voran, bis das Gehirn schrumpft und der Patient im Rollstuhl sitzt.

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