Lungenkrebs : Wohl dem, der in den richtigen Operationssaal findet
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Diagnose: Lungenkrebs Bild: dpa
Chirurgenpfusch an Lungenkrebskranken: Tausende sterben zu früh, weil sie an den falschen Operateur geraten. Der Versuch der Thoraxchirurgie, für Qualität zu sorgen, wird von Kliniken sabotiert.
Große Chirurgen wollen ungern etwas abgeben, und für groß hält sich gerne jeder, der alles operiert. Weil nun dies besonders in kleinen Krankenhäusern der Republik oft der Fall ist, dass der Chirurg also alles von den Gefäßen, der Lunge, den Eingeweiden bis zu Herz und Hirn operieren können soll, deshalb ist möglich geworden, was die Thoraxchirurgie lange Zeit als unterschwelligen Skandal vor sich her geschoben hat: den Chirurgenpfusch an Abertausenden Patienten. Allein unter den jährlich 45 000 an Lungenkrebs neu erkrankenden Patienten könnte einem großen Teil der vorzeitige Tod erspart bleiben, wenn sie nicht in die Hände unspezialisierter, überforderter Operateure fallen würden. Das betrifft zumindest das eine Drittel, dessen Lungentumoren noch in einem operablen Stadium entdeckt werden.

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.
Ein unhaltbarer Zustand, so findet das jetzt zumindest der Freiburger Chirurg Bernward Passlick, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie. Auf der Jahrestagung der Chirurgen in München brachte er die Dinge auf den Punkt, die nicht jedem seiner Kollegen schmecken dürften: „Wer alle zwei Wochen eine Lunge operiert, kann nicht genügend Training haben.“ Im Jahr 2010 wurden an 319 deutschen Kliniken Lungen operiert, 209 von ihnen hatten weniger als 25 Eingriffe im Jahr. Zusammen genommen haben die kleinen Krankenhäuser damit zwar nur etwa 15 Prozent der 10 400 Lungeneingriffe, aber die Sterblichkeit nach einem chirurgischen Eingriff liegt dort bei sechs Prozent - und damit doppelt so hoch wie in den Krankenhäusern, wo mindestens 75 Lungenoperationen stattfinden.
Das sind Auswertungen von Daten des Statistischen Bundesamtes, mit denen Passlick nun zum ersten Mal national zu zeigen versuchte, was Studien in den Vereinigten Staaten und Kanada schon eine geraume Zeit nahelegen: In großen Zentren mit hoher Spezialisierung sind die Operationsergebnisse deutlich besser. Mehr, als die Vermutung vieler zu bestätigen und die alte Mindestmengen-Diskussion wieder anzuheizen, vermögen die Zahlen allerdings nicht. Denn was der Thoraxchirurgie fehlt, sind erstklassige kontrollierte Studien nach den Anforderungen der evidenzbasierten Medizin. In Deutschland hat das auch historische Gründe. Die Thoraxchirurgie war aus den ehemaligen „Hustenburgen“ hervorgegangen, jenen außerhalb der Städte angesiedelten Tuberkulose-Spitäler, die an den Universitäten nie eine starke Position hatten - und bis heute nicht haben. Den vier Lungenkarzionomzentren an deutschen Universitäten stehen etwa allein sieben Zentren für Pankreaskrebs gegenüber, und das, obwohl Lungenkrebs gut zehnmal so häufig vorkommt.
Wie groß der Bedarf an spezialisierter Thoraxchirurgie ist, lässt sich an kroßen Häusern wie den Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden zeigen. Auf dem Weg zur Organspezialisierung ist in der Thoraxonkologie die Patientenzahl von 823 im Jahr 2000 auf mehr als 1700 im Jahr 2010 gestiegen, und insbesondere auch die Zahl der operierten Lungenkarzinome ist massiv auf mittlerweile 750 pro Jahr gesteigert worden. Joachim Schirren, der Leiter der Thoraxchirurgie und ein ausgeweisener Spezialist für komplexe Lungenresektionen, trifft auf seiner Station auf Patienten aus weiten Teilen des Bundesgebietes.