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Im Gespräch : Wenn der Arzt Hilfe braucht

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Wer andere heilt, hält sich selbst allzu leicht für unverwundbar. Bild: Getty

Auch Mediziner werden krank. Besonders häufig sind Depressionen. Aber nur die wenigsten gestehen sich das ein.

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          Herr Professor Berner, jeder dritte junge Arzt leidet laut Umfragen unter depressiven Symptomen. Auch Suchtkrankheiten und Suizide sind unter Medizinern häufiger als beispielsweise unter Bankern. Warum?

          Zum einen hat das etwas mit den Verhältnissen zu tun, unter denen Ärzte heutzutage arbeiten. Die Ressourcen im Gesundheitswesen sind knapp, die Ansprüche hoch. Dazu kommen die besonderen psychologischen Belastungen wie die Konfrontation mit dem Leid anderer Menschen oder die Unplanbarkeit des Alltags. Aber was meiner Meinung nach fast noch wichtiger ist: Gerade Mediziner haben in solchen Fällen besonders große Probleme damit, sich von anderen Fachleuten helfen zu lassen.

          Woran machen Sie das fest?

          Nur eine Minderheit der Kollegen hat selbst einen Hausarzt, die Mehrheit verschreibt sich lieber in Eigenregie Medikamente. Gleichzeitig zeigen Studien, dass nur ein Bruchteil der Ärzte mit Depressionen darüber nachdenkt, vielleicht mal einen Kollegen aufzusuchen – und noch viel weniger es tatsächlich tun. Als Chef einer Privatklinik, die auch Mediziner mit psychischen Problemen zu ihrer Kundschaft zählt, musste ich immer wieder erleben: Viele Kollegen tragen nicht nur ihren Kopf unter dem Arm, sie haben sogar schon beherzt eine Runde Fußball damit gespielt.

          Nach dem Motto: „Dem Halbgott in Weiß kann schon nichts passieren“?

          Der Mythos hat vielleicht keine Gültigkeit mehr, aber wir tendieren unbewusst immer noch zu der Ansicht, wir seien so eine Art Ritter im Kampf für die Gesundheit der Patienten. Und diese Rolle impliziert automatisch eine gewisse Unverwundbarkeit. Und wenn man ganz ehrlich ist: Mancher Patient tut sich ebenfalls schwer damit, zu akzeptieren, dass auch sein Arzt mal krank ist. Da wird dann schon geredet. Besonders bei psychischen Problemen.

          Und deshalb therapieren sich die Ärzte lieber in Eigenregie?

          Michael Berner ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie am Städtischen Klinikum Karlsruhe. Vorher war er in gleicher Position an der privaten Akutklinik für Psychische und Psychosomatische Gesundheit in 
Bad Säckingen (www.rhein-jura-klinik.de).
          Michael Berner ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie am Städtischen Klinikum Karlsruhe. Vorher war er in gleicher Position an der privaten Akutklinik für Psychische und Psychosomatische Gesundheit in Bad Säckingen (www.rhein-jura-klinik.de). : Bild: Foto Archiv

          Es ist immer noch die Einstellung verbreitet: Ich kann das alles irgendwie selbst. Hinzu kommt, dass es sich bei den Medizinern um eine sehr leistungsbereite Vorauswahl handelt. Die Anforderungen, um den Beruf ergreifen zu dürfen, sind sehr hoch: Einser-Abitur, Eignungstest, dann das harte Studium. Deshalb bringen viele schon von zu Hause die Einstellung mit: „Du darfst nicht versagen.“

          Welche Rolle spielt in dieser Hinsicht das Umfeld?

          Während meiner eigenen Ausbildung war es noch unvorstellbar, als Krankenhausarzt selbst krank zu sein. Heutzutage sind die Chefärzte und Verwaltungen zwar wesentlich toleranter, dafür ist die Personaldecke inzwischen so knapp, dass jeder weiß: Wenn ich ausfalle, muss ein ohnehin schon überlasteter Kollege meine Arbeit miterledigen. Bei selbständigen Medizinern wiederum bedeutet eine längere Krankheit häufig eine wirtschaftliche Katastrophe. Eine Depressionsbehandlung dauert in der Regel drei Monate. So lange steht mancher, der nicht ausreichend versichert ist, ohne Einnahmen da.

          Dennoch haben Ärzte eine überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung ...

          Sie begehen aber auch eineinhalbmal häufiger als der Rest der Bevölkerung Suizid, bei Frauen liegt die Rate sogar mehr als doppelt so hoch. Gerade Psychiater gehen paradoxerweise oft diesen fatalen Weg. Man kann sich nicht selber behandeln, wenn man psychische Probleme hat. Ein Depressionskranker hat Ratschläge und Hilfe von außen bitter nötig, um wieder Distanz zu sich zu bekommen und aus dem Hamsterrad hinauszuklettern. Zudem birgt gerade die Selbsttherapie ihre eigenen Gefahren.

          Welche wären das?

          Wenn die Betroffenen wenigstens sagen würden: „Oha, ich habe eine Depression, laut Versorgungsleitlinie brauche ich ein Antidepressivum“, wäre ja schon viel gewonnen. Aber gerade das ist eher die Ausnahme. Stattdessen doktern viele nur an ihren Symptomen herum und versuchen, sich mit irgendwelchen Substanzen am Laufen zu halten: Beruhigungspillen gegen die Schlafstörungen, Aufputschmittel gegen den Energiemangel, Benzodiazepine, Opiate oder Alkohol. Dann kommt irgendwann zur Depression auch noch ein Suchtproblem.

          Eine Gefahr, die wahrscheinlich noch dadurch wächst, dass man als Arzt besten Zugang zu Suchtmitteln hat?

          Das Dumme am Patienten Arzt ist der Arztausweis. Als Mediziner bekommen Sie grundsätzlich fast alles in der Apotheke, wenn Sie es nicht ohnehin schon irgendwo im Medikamentenschrank haben. Das ist auch sicherlich einer der Gründe dafür, dass gerade Anästhesisten, die von Berufs wegen besonders oft mit Betäubungsmitteln zu tun haben, überdurchschnittlich häufig unter den suchtkranken Ärzten zu finden sind.

          Sie arbeiten selber in einer Art schnellen Eingriffstruppe, dem Interventionsprogramm der südbadischen Ärztekammer. Wer ruft Sie zu Hilfe?

          Häufig sind es die Betroffenen selbst, die nicht mehr weiterwissen. Oft wenden sich aber Patienten oder auch Kollegen an die Kammer, weil ihnen aufgefallen ist, dass ein Arzt nach Alkohol riecht oder Entzugssymptome zeigt. Als Selbstverwaltung und Aufsichtsorgan müssen die Ärztekammern den Behörden anzeigen, wenn ein Mediziner zum Beispiel aufgrund seines Drogenproblems nicht mehr zur Ausübung seines Berufes fähig ist. Schlimmstenfalls wird ihm dann vom Regierungspräsidium die Approbation entzogen, also ein Berufsverbot ausgesprochen. Mit dem Interventionsprogramm versucht man, dem zuvorzukommen und den Kollegen zu helfen, sich rechtzeitig aus ihrem Loch herauszukämpfen.

          Haben Sie Erfolg?

          Zum Approbationsentzug kommt es tatsächlich sehr selten. Aber manchmal geht es schon hart und deutlich zur Sache. Ich kann mich an einen Fall erinnern, eine schwerstdepressive und suchtkranke Kollegin, der wir die Pistole auf die Brust gesetzt haben: Entweder ist morgen die Praxis zu und Sie gehen in eine Klinik, oder wir müssen übermorgen die Behörden informieren. Da hatten wir nach dem Gespräch große Sorge um sie. Für die Kollegin spielte der Arztberuf, ihr Verständnis von sich als Helferin so eine zentrale Rolle in ihrem Leben und war so wichtig fürs Selbstwertgefühl, wir hatten Angst, dass sie sich etwas antut. Heute ist sie wieder mit großer Freude und erfolgreich für ihre Patienten da. Auch daran sieht man: Depression und Sucht sind in den meisten Fällen heilbar, wenn man sich nur helfen lässt.

          Die Fragen stellte Michael Brendler.

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