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Helicobacter pylori : Dieser Keim macht nicht nur krank

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Früher trug ihn fast jedes Kleinkind in sich. Auch in der Gletschermumie Ötzi wurde er schon entdeckt. Doch inzwischen ist Helicobacter selten geworden. Bild: ddp Images

Helicobacter pylori verursacht Magengeschwüre und Schlimmeres. Aber er kann auch vor Krankheiten schützen. Trotzdem soll er jetzt weitgehend ausgerottet werden. Nicht jeder hält das für eine gute Idee.

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          Der Selbstversuch, den der australische Arzt Barry Marshall 1984 unternahm, ist zu Recht in die Medizingeschichte eingegangen. Weil sich kein Versuchstier mit dem von ihm entdeckten Magenkeim anstecken ließ, infizierte Barry Marshall damals den einzigen Menschen, dem er das ohne ethische Bedenken antun konnte: sich selbst. Er isolierte die Bakterien aus dem Mageninhalt eines Patienten und kippte das Zeug hinunter.

          In den folgenden Tagen sei er stets um sechs Uhr morgens mit dem gleichen Gedanken aufgewacht: „Mein Gott, ist mir übel“, und dann auf die Toilette gelaufen, um sich zu übergeben, hat Marshall später erzählt. Zudem quälten ihn Mundgeruch, Appetitlosigkeit und Energiemangel. Eine Magenuntersuchung lieferte schließlich den letzten Beleg für die inzwischen mit einem Nobelpreis gewürdigte Theorie, die er zusammen mit seinem Kollegen Robin Warren aufgestellt hatte: Nicht Stress, Kaffee oder schlechte Essgewohnheiten sind die Ursache von Magenschleimhautentzündung, Magengeschwüren und Magenkrebs. Sondern ein winzig kleines, spiralig geringeltes Bakterium namens Helicobacter pylori.

          Ein Keim auf dem Rückzug

          Seit dieser Feind ausgemacht ist, wird er konsequent bekämpft. In vielen Fällen setzen Ärzte auf seine völlige Vernichtung. Im Rahmen einer Eradikationstherapie kombinieren sie verschiedene Antibiotika. Aber auch vor diesen gezielten Eingriffen war der Keim bereits auf dem Rückzug. Tatsächlich findet sich Helicobacter inzwischen nur noch bei jedem dritten Deutschen über vierzig im Bauch. Unter Kindern im Vorschulalter ist sogar nur eines von dreißig infiziert, und mit jeder Generation sinkt die Zahl der Keimträger um weitere zehn Prozent. Der Einsatz von Antibiotika gegen andere Bakterien und die verbesserten Hygienebedingungen haben wesentlich dazu beigetragen, dass Helicobacter inzwischen nicht mehr der Normalfall ist, wie er es zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts noch war.

          Nicht alle Mediziner sind davon restlos begeistert. „Dreißig Jahre lang sind wir nach der Devise verfahren: Nur ein toter Helicobacter ist ein guter Helicobacter“, sagt Martin Blaser, Direktor des Human-Mikrobiom-Projekts an der Universität New York. Der Keim, der einst im Magenschleim fast jedes Kindes zu finden war, ist weitestgehend aus den Verdauungsorganen der Europäer, Japaner und Amerikaner verschwunden. „In der gleichen Zeit sind Asthma, Speiseröhrenleiden und andere Zivilisationskrankheiten massiv nach oben geschossen“, sagt Blaser. Er glaubt nicht, dass das ein Zufall ist.

          Der Dirigent im Orchester des Mikrobioms

          Helicobacter pylori begleitet den Menschen schon lange. Auch im Körper des Gesunden spielt er eine Rolle. Peter Malfertheiner, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie der Universitätsklinik Magdeburg, nennt ihn den „Dirigenten im Orchester unseres Mikrobioms“. Damit es sich im unwirtlichen Milieu des Magens behaupten kann, sorgt das Bakterium selbst dafür, dass der Säurespiegel des Organs möglichst niedrig bleibt. Der pH-Wert im Mageninneren wiederum bestimmt maßgeblich darüber, welche anderen Keime mit der Nahrung bis in den Darm vordringen können. Der starke Einfluss dieser Darmbakterien auf Immunsystem und Autoimmunkrankheiten gilt heute als gesichert. Möglicherweise, sagt Georg Häcker, Leiter des Nationalen Helicobacter-Referenzzentrums an der Universitätsklinik Freiburg, habe Helicobacter im Magen eine ganz ähnliche Funktion.

          Bereits 1997 merkte ein Deutscher in der Fachzeitung „Gastroenterology„ an, dass die Vertreibung des Keims aus dem Magen auch unangenehme Nebenwirkungen haben könnte. Joachim Labenz, inzwischen Chefarzt am Jung-Stilling-Krankenhaus in Siegen, war aufgefallen, dass Patienten mit einem Magengeschwür nach der Antibiotikatherapie häufig an Gewicht zunahmen und einen übersäuerten Magen entwickelten. Weil die ätzende Flüssigkeit bei vielen bis in die Speiseröhre aufstieg, bekamen die vom Helicobacter befreiten Patienten doppelt so häufig eine sogenannte Refluxösophagitis wie ihre unbehandelten Leidensgenossen. „Der Kollege Labenz wurde massiv von allen Seiten beschossen“, erzählt der Amerikaner Martin Blaser. Aber als er in seinem Labor zum eigenen Erstaunen selbst über einen derartigen Zusammenhang stolperte, wurden die Mediziner hellhörig.

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