Falsche Anreize : Angst und Profitgier untergraben die Qualität der Medizin
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Eine OP-Schwester greift nach dem OP-Besteck. Bild: dpa
Eine Studie zur Prüfung von Operationsverfahren wird abgebrochen. Grund: Die Patienten bestehen darauf, operiert zu werden, statt Pillen zu nehmen. Und das, obwohl der Sinn der OP nicht hinreichend getestet ist.
Patienten mit stark verengter Halsschlagader, die bereits einen Schlaganfall erlitten haben, profitieren nachweislich von einer Gefäßoperation oder einer Stentimplantation: Im ersten Fall werden die arteriosklerotischen Gefäßkrusten in der Halsschlagader, der Karotis, herausgeschält, im zweiten werden sie mit einem Metallröhrchen an die Wand gepresst. Beide Eingriffsarten können das hohe Risiko der Betroffenen, erneut Opfer einer Hirnattacke zu werden, nachhaltiger senken als eine alleinige Behandlung mit Medikamenten. Unklar ist allerdings, ob dasselbe auch für Patienten mit einer hochgradigen Gefäßverengung in der Halsschlagader gilt, die noch keinerlei Beschwerden bereitet. Hiervon spricht man, wenn die arteriosklerotischen Ablagerungen die Halsschlagader zwar stark einengen, aber noch keine Durchblutungsstörungen im Gehirn hervorgerufen haben. Bei solchen Patienten besteht die Gefahr, dass die Eingriffe eher schaden als nützen. Denn Gefäßoperationen und Stentimplantationen können ihrerseits Schlaganfälle auslösen - folgenreiche Gefäßverschlüsse im Gehirn, von denen der Patient ansonsten vielleicht verschont geblieben wäre.
Zweifel an einem Nutzen der chirurgischen Verfahren sind auch deshalb gerechtfertigt, weil das - vergleichsweise geringe - Schlaganfallrisiko von Patienten mit asymptomatischer Gefäßverengung in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen hat. Zu verdanken ist dieser erfreuliche Trend vermutlich in erster Linie den Fortschritten bei der medikamentösen Therapie, etwa einer konsequenteren Anwendung von Blutdruckmitteln und Cholesterinsenkern.
Klarheit über Therapien
Damit endlich mehr Klarheit herrscht, welche Therapie wann am besten angezeigt ist, haben deutsche Ärzte um den Neurologen Werner Hacke von der Universität Heidelberg vor mehreren Jahren eine Studie namens Space-2 ins Leben gerufen. Diese sollte beantworten, wie man Patienten mit fortgeschrittener, aber beschwerdefreier Karotisstenose am sichersten behandelt: mit einem Eingriff oder nur mit Medikamenten. Auf Anraten der Deutschen Forschungsgemeinschaft musste das Unterfangen aber nun vor kurzem vorzeitig abgebrochen werden. Denn nur die wenigsten der etwa vierzig beteiligten Zentren waren in der Lage oder willens gewesen, Patienten beizusteuern. Statt 3640, wie ursprünglich vorgesehen, seien nur 503 Versuchspersonen zusammengekommen, berichten die enttäuschten Studienleiter im „Deutschen Ärzteblatt“. Schuld an dem Debakel war allerdings keineswegs eine zu geringe Zahl an potentiellen Kandidaten. Denn allein im Jahr 2013 seien hierzulande 12.096 Patienten mit asymptomatischer Karotisstenose operiert und weitere 2452 mit einem Stent versorgt worden, schreiben Hacke und die anderen Forscher. Motivation vorausgesetzt, wäre es daher nicht schwierig gewesen, genügend Studienteilnehmer zu finden.