Fair-Trade : Gutes Gewissen im Angebot
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Fair-Trade Kaffee gibt es inzwischen nicht mehr nur im Weltladen. Bild: dpa
Trägt etwas das Siegel „fair gehandelt“, fühlt sich der Konsument gut. Die Siegel scheinen bequemes soziales Engagement zu ermöglichen. Doch die Hoffnung trügt.
Angesichts der gut gefüllten Regale in den Geschäften könnte man sich den Kunden als einen glücklichen Menschen vorstellen. Doch Konsum ist oft harte Arbeit: Eine Kaufentscheidung erfordert mehr als die Preise ähnlicher Produkte zu bewerten. Schon der Vergleich von Qualitätsmerkmalen führt leicht zur Überforderung: Ist die Markenpizza besser als die Billigversion, der Designerstuhl besser als das Ikea-Modell? Und wenn ja, rechtfertigt dies das Ausmaß der Preisdifferenz?
Die Lösung für die daraus folgenden Informationsprobleme lautet „Zertifizierung“: Spezialisten kümmern sich darum, die Produkte zu testen. Im Erfolgsfall gibt es ein Siegel („label“), an dem sich potentielle Käufer orientieren können.
Eigenschaften und Umstände ausschlaggebend
In der 1980er Jahren adaptierten Aktivisten der „Fair Trade“-Bewegung dieses Modell, um den Verkauf fair gehandelter Waren zu fördern. Fairer Handel beruht auf der Idee, dass die üblicherweise auf dem Weltmarkt gezahlten Preise zu niedrig sind, weil große Einkäufer ihre Marktmacht gegenüber den meist in Entwicklungsländern beheimateten Produzenten und Rohstofflieferanten ausnutzen.
Ein fairer Handel soll demgegenüber eine angemessene Bezahlung der Lieferanten sicherstellen und diese auch vor zu großen Preisschwankungen schützen. Dieses Ziel führt jedoch zu einem zusätzlichen Informationsproblem: Nicht nur die Eigenschaften der Produkte, sondern auch die Umstände ihrer Produktion müssen berücksichtigt werden.
Inzwischen auch im Discounter
Zunächst führte der Weg zum ethisch reflektierten Einkauf über eigens für den Fairen Handel produzierte Güter, die vor allem in „Eine Welt“Läden erworben werden konnten. Man vertraute ihnen, dass sie nur unbedenkliche Waren anbieten würden. Doch 1988 ging die niederländische „Max Havelaar“-Stiftung einen neuen Weg und entwickelte ein Siegel für fair gehandelten Kaffee, der auch in Supermärkten und anderen Verkaufsstellen verfügbar sein sollte. Der Rest ist bekannt: Mittlerweile findet man selbst beim Discounter Kaffee, Tee, Bananen und andere Produkte, die mit einem von „Max Havelaar“ oder einer anderen Organisation verliehenen „Fair Trade“-Label versehen sind.
In einer auf Daten aus 12 europäischen Ländern basierenden Studie untersucht der Konstanzer Soziologe Sebastian Koos, wie Zertifikate die Logik des fairen Handels verändert und in der Folge dazu beigetragen haben, dass die Konsumenten über die Optionen besser informiert sind und diese häufiger wahrnehmen. Er unterscheidet die „Marktlogik“ der Labels von der früher dominierenden „zivilgesellschaftlichen Koordinationslogik“, die fair gehandelte Produkte vor allem als Nischenprodukte begriff, die über eigene Netzwerke vertrieben wurden und deren Qualität nachrangig war.
Güter des Massenkonsums
Es ist nur leicht übertrieben, wenn man sich den Käufer eines auf diese Weise fair gehandelten Kaffees als jemanden vorstellt, der den „Eine Welt“-Laden mit dem primären Ziel betrat, mexikanische Bauern zu unterstützen. Abstriche beim Geschmack wurden in Kauf genommen - oder sogar begrüßt, insofern sie die erwünschte „Bewusstseinsbildung“ anregen könnten.
Demgegenüber steht beim zertifizierten Kaffee nicht die Versorgung der ohnehin bereits Überzeugten aus dem „Eine Welt“-Milieu im Vordergrund, sondern die Marktdurchdringung. Die fair gehandelten Produkte sollen Güter des Massenkonsums sein und müssen auch durch Qualität überzeugen, um mit konventionellen Produkten konkurrieren zu können. Das Label ist dann ein zusätzliches Attribut, das einen höheren Preis rechtfertigen kann. Die „Marktlogik“ ist nicht am verantwortungsvollen Bürger ausgerichtet oder gar am Aktivisten, sondern am Konsumenten.
Soziale Schichten ausschlaggebend
Es ist bekannt, dass nicht alle Konsumenten in gleicher Weise für die frohe Botschaft des fairen Handels empfänglich sind. Die Studie bestätigt bisherige Forschungsergebnisse, die bei Frauen, bei Personen mittleren Alters und höherer Einkommensklassen, mit gehobenem Bildungsniveau sowie mit politisch dem linken Spektrum zuzurechnenden Einstellungen eine höhere Neigung zu fairem Konsum gefunden haben.
Zusätzlich zeigt der Autor jedoch, dass der Kontext eine wichtige Rolle spielt: Die Gründung von „Fair Trade“-Organisationen hat einen positiven Einfluss auf den Absatz und scheint sogar wichtiger zu sein als die Zahl der Verkaufsstellen. Interessanterweise beruht der Effekt auf der reinen Existenz entsprechender Organisationen - Kampagnen und Werbeaktivitäten erhöhen ihn nicht wesentlich.
Was sich aber verstärkt, ist der Einfluss der sozialen Position: Wo es „Fair Trade“-Organisationen gibt, lassen sich vor allem Angehörige der höheren Schichten (und Studenten) zu fairem Konsum überzeugen, unqualifizierte Arbeiter eher nicht. Die „Vermarktlichung der Moral“ erzeugt also keine internationale Klassensolidarität, sondern beruht auf dem Prinzip der Mildtätigkeit: Die Bessergestellten helfen den Unterprivilegierten - wenn es keine zu großen Umstände macht.
Koos, Sebastian (2016): Die organisierte Vermarktlichung der Moral und die Moralisierung der Märkte. Eine vergleichende Analyse der Fair-Handelsbewegung und der Entstehung ethischen Konsums in Europa. In: Berliner Journal für Soziologie (online first). DOI: 10.1007/s11609-016-0315-1.