Andreas Hensel im Interview : „Es wird häufiger Krisen geben“
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Sprossen-Saatgut Bild: dpa
Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, spricht im Interview über Noroviren in Erdbeeren, Ehec-Keime in Sprossen und neue Analysemethoden, die der Verbraucherschutz dringend braucht.
Herr Hensel, Ende des Jahres wurde nicht nur das Bundesinstitut für Risikobewertung, das Sie leiten, zehn Jahre alt, auch die Efsa, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Beide entstanden zu einer Zeit, als das Vertrauen der Verbraucher in Lebensmittel tief erschüttert war durch die BSE- und eine größere Dioxinkrise. Die Europäische Kommission hat damals in einem Weißbuch festgelegt, wie sich der Verbraucherschutz ändern muss. Lassen sich die damals festgelegten Strategien noch auf heutige Krisen wie den Ehec-Skandal oder die Probleme des gerade vergangenen Jahres, etwa die Norovirusinfektionen durch Kantinenessen, anwenden?
Das Weißbuch ist lange vorbereitet worden und wurde nur zufälligerweise zu dem Zeitpunkt fertig, als die öffentliche Diskussion europaweit durch die BSE- und die Dioxinkrise befeuert wurde. Das Besondere an den Inhalten des Weißbuches ist nicht die Einrichtung der Efsa und von Behörden wie dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in den EU-Mitgliedsländern, sondern dass man festgeschrieben hat, dass die Verantwortung für die Sicherheit von Lebensmitteln beim Hersteller liegt. Die Rolle des Staates ist nunmehr die Kontrolle von deren Eigenkontrolle. Das war damals die notwendige Anpassung der Überwachung an die Millionen Tonnen von Warenströmen, die letztlich nach Europa laufen und auch aus Europa heraus. Die schiere Menge war der eigentliche Grund, das System zu ändern. Durch die BSE-Krise hat das natürlich eine unglaubliche Beschleunigung bekommen. Die BSE-Krise war, anders als die Lebensmittelskandale vorher, auch mit einem Vertrauensverlust in die Politik gekoppelt. Deshalb hat man Behörden wie das BfR und die Efsa gegründet, die nur für die Bewertung von Risiken zuständig sind, ohne in das politische Management dieser Risiken involviert zu sein.
Ist dieses vor zehn Jahren geänderte System bis heute erfolgreich?
Tatsächlich ist es bis heute ein Erfolgskonzept, nicht nur veterinär- und sanitärpolizeiliche Maßnahmen durchzuführen, sondern denjenigen, der Lebensmittel in Verkehr bringt, in die Verantwortung zu nehmen. Dieses System hat so gut funktioniert, dass es letztlich ein Exportartikel geworden ist. Schaut man beispielsweise nach Südkorea, Russland oder China, sieht man, dass auch diese Länder solche Strukturen einführen.
Was wird heute in der konkreten Überwachung anders gemacht als vor zehn oder zwanzig Jahren?
Früher hat man immer „hazard-bezogen“ agiert, sich also auf Gefahren bezogen. Man hat einen Giftstoff erkannt, wollte ihn aus der Nahrungskette verbannen und hat ihn deshalb verboten. Das geht natürlich bei bestimmten Stoffen, die wie die Dioxine überall in der Umwelt vorkommen und deshalb auch in Lebensmittel gelangen, nicht so einfach. Es ist beim Dioxin wie beim Skat: Was liegt, das liegt. Das heißt, wenn man versucht, ANTWORT: es zu minimieren, muss man die Quellen erkennen und verstopfen, mehr kann man nicht tun, ein Dioxinverbot würde an der Hintergrundbelastung von Lebensmitteln und Futtermitteln nichts ändern. Neu ist heute, bei uns und bei der Efsa, dass wir beim Umgang mit solchen Risiken und der Bewertung einem expositionsbezogenen Ansatz folgen und fragen, in welchen Mengen kommt der Stoff denn zum Menschen, sind diese Mengen gesundheitsgefährdend oder nicht? Diese Herangehensweise funktioniert, aber dem Bürger erscheint es so, als ob es ständig einen Dioxin-Skandal gäbe. Das Konzept sieht im Fall der Dioxine nämlich vor, dass der Grenzwert so niedrig gelegt wird, dass man eine Quelle erkennen kann. Diese minimale Konzentration, etwa in einem Ei, hat mit Gesundheitsgefährdung erstmal gar nichts zu tun, sondern damit, dass wir sämtliche Eintragsquellen erkennen und verschließen wollen.