ADHS-Studie : Ist der „Zappelphilipp“ eine chronische Störung?
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Die Studie in „Pediatrics“ weist die bisher größte Kontrollgruppe auf. „Die Studie ist sehr repräsentativ, weil es sich nicht um eine selektive Stichprobe handelt, sondern eine gesamte Geburtskohorte betrachtet wird“, sagt Martin Holtmann, ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe in Hamm, der selbst Langzeitstudien mit deutschen ADHS-Patienten angefertigt hat. „Die erhöhte Suizidalität von Kindern mit ADHS ist schon jetzt recht bekannt, auch unter Eltern, die danach häufig fragen“, sagt Holtmann. „Dazu muss man aber sagen, dass die Suizidalität vor allem eine besondere Risikogruppe betrifft, die eine ADHS zeigen, die durch Stimmungsschwankungen, Wutausbrüche und depressiven Rückzug verkompliziert wird.“ Experten sprechen in diesem Zusammenhang von „ADHS plus“; etwa zwanzig Prozent aller Kinder mit ADHS sind betroffen. Die für Mai erwartete Neufassung des amerikanischen Klassifikationssystems psychischer Krankheiten, DSM-5, sieht sogar eine neue Diagnose für diese Patienten vor: DMDD, „Disruptive Mood Dysregulation Disorder“.
Daten aus Deutschland
Die bekannteste deutsche Langzeituntersuchung zu psychischen Störungen im Kindesalter ist die Mannheimer Risikokinderstudie des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim. Holtmann filterte vor zwei Jahren aus den Daten dieser Untersuchung heraus, wie Kinder mit einer ADHS, die durch starke Stimmungsschwankungen verkompliziert wird, sich im weiteren Verlauf entwickeln. Kinder, die im Alter von acht Jahren der Gruppe mit einem solchen Verhaltensprofil zuzurechnen waren, zeigten im Alter von neunzehn häufig massiven Alkohol- und Drogenkonsum und eine hohe Suizidalität, schrieb Holtmann im „Journal of Child Psychology and Psychiatry“ (doi: 10.1111/j.1469-7610.2010.02309.x). Typisch waren außerdem Antriebslosigkeit und ein „chronisches Kiffersyndrom“. Die Jugendlichen hatten häufig keinen Schulabschluss, brachen Ausbildungen ab und wurden nicht unabhängig vom Elternhaus. Alarmierend war vor allem, dass die Probanden der DMDD-Gruppe mit neunzehn schlechter zurechtkamen als sämtliche Kinder mit anderen Störungen, die zum Vergleich herangezogen wurden, etwa Kinder mit Angststörungen oder Depressionen.
Der Hauptautor der neuen Studie aus „Pediatrics“, William Barbaresi vom Boston’s Children Hospital, kritisiert in einer Bilanz die verbreitete Fehleinschätzung, dass ADHS lediglich eine „nervige Kinderkrankheit“ sei, die zu viel behandelt werde. Stattdessen sei es notwendig, die Krankheit von Anfang an als chronisch verlaufende Störung zu betrachten und entsprechende Therapien zu entwickeln.