
Maschinen-Intelligenz : Verflixt originell, der Knabe
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Sind die lernenden Roboter schon auf der Überholspur? Die Wette läuft. Kreativität ist die nächste Disziplin für künstliche Intelligenz. „Melvin“ jedenfalls steckt schon Spitzenphysiker in die Tasche - und schwingt den digitalen Zaunpfahl.
Man kann nicht behaupten, dass wir die Zeit sinnlos verstreichen lassen, bis uns die künstlichen Intelligenzen irgendwann das Leben zur Hölle machen und Roboter den Krieg erklären. Nein, wir tun wirklich alles, um selbst klüger zu werden. Und effizienter. Und weitsichtiger. Und kreativer. Dazu gehört auch, dass wir uns selbst bis zum Äußersten digital sozialisieren.
Von einer Flucht in virtuelle Welten jedenfalls, die nun mit komfortablen und sogar erschwinglichen 3D-Masken möglich wird, kann gar nicht die Rede sein, wenn es stimmt, was wir von italienischen und belgischen Forschern in der Zeitschrift „Cyberpsychology“ erfahren: dass stark übergewichtige Patienten von einem regelmäßigen Besuch in der virtuellen Realität profitieren und deutlich abnehmen können. Nur ein Placeboeffekt? Das Ergebnis zählt, sagen Ärzte.
Eine ähnliche Optimierungsstrategie dürfen wir hinter vielen Computermodellen vermuten, die unsere leider oft sehr beschränkte Phantasie beflügeln sollen - auch politisch. Früher sagte man: Iss Obst und Gemüse, dann bleibst du länger gesund. Heute präsentiert die „American Heart Association“ für ihren Jahreskongress Zahlenkolonnen aus einem Computermodell, das so zur gesundheitspolitischen Waffe wird: Würde man Obst und Gemüse nur zehn Prozent billiger machen, sollte es in zwanzig Jahren 2,6 Prozent weniger Herzattacken und vier Prozent weniger Schlaganfälle geben. Das Gleiche gelte für Getreide: Zehn Prozent Preisnachlass ergeben 0,3 Prozent weniger Opfer. Zehn Prozent Teuerung auf gesüßte Limos würde andererseits 0,25 Prozent weniger Infarkte und 0,7 Prozent weniger Diabetesfälle bedeuten. Alles in allem: 515 000 weniger Herz-Kreislauf-Tote in zwanzig Jahren wären somit leicht möglich. Der Konjunktiv aus dem Rechner, das ist unübersehbar, hat den Optimierungsdruck in unserer analogen Lebenswirklichkeit deutlich verstärkt. Und das hat Folgen.
Schon um unsere rechnerischen Potentiale künftig zu nutzen, ist Kreativität gefragt. Und weil wir auch in dieser Hinsicht beschränkt sind, müssen wir uns auch zu diesem Zweck immer stärker im digitalen Möglichkeitsraum bedienen. Mit gutem Beispiel gehen da Anton Zeilinger und seine Wiener Physikerkollegen voran. Weil sie ständig auf der Suche nach neuen Quantenzuständen sind, haben sie vor einiger Zeit eine künstliche Intelligenz namens „Melvin“ entwickelt, die sich selbst physikalische Experimente ausdenkt - und tatsächlich überraschende neue Lösungen gefunden hat, wie wir auf einem Preprint-Archiv und in Kürze in „Physical Review Letters“ [Phys. Rev. Lett. 116, 090405 (2016)] nachlesen können. Die Maschine, der bessere Wissenschaftler? Es führen eben viele Wege in die Hölle. Aber auch von dort wieder heraus?