Niesende Schwämme : Weg mit dem Schleim
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Erstaunt? Ofenrohrschwämme können Dreck durch ihre Röhren nach außen befördern. Bild: Getty
Schwämme sind denkbar simpel aufgebaute Organismen. Ihre Methode, sich von Unrat zu befreien, gleicht der unseren aber durchaus: Sie niesen.
Hatschi! Wenn Staub oder Pfeffer in der Luft liegt, kann kräftiges Niesen befreiend wirken. Offenbar geht das nicht nur uns Menschen so: Auch Schwämme nutzen einen ähnlichen Mechanismus, um ihr filigranes Filtersystem zu reinigen. Dabei stehen sie im Stammbaum des Lebens weiter von uns entfernt als alle anderen Tiere. Von der gesamten übrigen Fauna unterscheiden sie sich durch einen sehr simplen Aufbau. Sie besitzen zwar unterschiedlich spezialisierte Zellen, aber weder solche für die Sinneswahrnehmung, geschweige denn der Reizweiterleitung. Schwammzellen können zudem eigenständig umherkriechen.
In der Mehrzahl sind Schwämme darauf spezialisiert, winzige Nahrungspartikel aus dem Wasser zu fischen, etwa Bakterien und Viren. Ihre hocheffizienten Filteranlagen bestehen aus kleinen Kammern, ausgekleidet mit Kragengeißelzellen. Deren bewegliche Geißeln treiben Wasser durch den Schwamm, über sehr kleine Poren hinein und viel größere Öffnungen wieder hinaus. Der Kragen dieser Zellen filtert nahrhafte Bestandteile aus dem Wasser.
Nach gängiger Meinung sind Schwämme von Einbahnstraßen durchzogen. Überreste des Stoffwechsels und Unverdauliches müssten folglich stets durch ein enges Kanalsystem zum Ausgang befördert werden. Doch wie sollen sich Verstopfungen auf diesem Weg vermeiden lassen? Dass zumindest manche Schwämme anstelle der Ausströmöffnungen ihre Einströmöffnungen für die Abfallentsorgung nutzen können, haben Niklas A. Kornder und Yuki Esser von der Universität Amsterdam nun während eines Forschungsaufenthalts auf Curaçao herausgefunden. In küstennahen Riffen untersuchten sie dort den in der gesamten Karibik heimischen Ofenrohrschwamm (Aplysina archeri). Stattliche Exemplare dieses Hornkieselschwamms fallen durch senkrecht stehende, meterlange Röhren auf. Für Untersuchungen im Labor wählten die niederländischen Meeresbiologen jedoch kleinere, die sie zeitweilig in Aquarien einquartieren konnten.
Da Schwämme mangels Nerven- und Muskelzellen eher gemächlich agieren, wurde sie mit Zeitraffer gefilmt. So ließ sich im Freiland wie im Labor dokumentieren, wie kleine Partikel an den Einströmöffnungen auftauchen und von darüber gleitenden Schleimbahnen mitgenommen werden. Noch bleibt ungeklärt, wie der Schwamm diese Transportbänder in Gang hält. Doch ihre Geschwindigkeit ließ sich messen: Durchschnittlich waren es zwei tausendstel Millimeter pro Sekunde. Dank detaillierter Bildanalysen gemeinsam mit sechs versierten Kollegen entdeckten Kornder und Esser auch, dass die Schleimbänder auf Buckeln der Schwammoberfläche zusammenlaufen. Dort verklumpen die darin eingeschlossenen Partikel zu mehr oder minder langen Strängen.
Reinigungs-Mechanismus ähnelt dem unserer Atemwege
Wie der Ofenrohrschwamm seinen Abfall endgültig loswird, berichtet das Forscherteam in der Fachzeitschrift „Current Biology“: In Abständen von drei bis acht Stunden laufen relativ flotte Kontraktionswellen mit Geschwindigkeiten bis zu einem zehntel Millimeter pro Sekunde über die Oberfläche des Schwamms. Dabei schließen sich die Einströmöffnungen lokal so koordiniert, dass sie den in Schleim verpackten Unrat regelrecht abstoßen.
Vermutlich wird Unverdauliches auch schon im Inneren des Schwamms auf Schleimbändern transportiert – entgegen der Fließrichtung des Wassers. Im Prinzip würde der Ofenrohrschwamm damit einen ganz ähnlichen Mechanismus für die Selbstreinigung nutzen wie unsere Atemwege. Hier sind es die Epithelzellen mit ihren Flimmerhärchen, die im Schleim gefangene Staubpartikel am laufenden Band in Richtung Ausgang schleusen.
Abfallentsorgung über die Einströmöffnungen abzuwickeln erscheint gerade für den Ofenrohrschwamm besonders vorteilhaft. Denn eine hoch oben platzierte Ausströmöffnung garantiert zwar, dass gründlich gefiltertes Wasser nicht noch ein zweites Mal durch den Schwamm läuft. Mitgeführte Abfallpartikel würden aber wohl oft auf den Grund des langen Rohrs herabsinken, ehe sie den Ausgang am oberen Ende erreicht haben. Wenn Schwämme Unverdauliches über die Einströmöffnungen hinausbefördern, dürften sie außerdem besser mit aufgewirbelten Sedimenten zurechtkommen: Was mit dem Wasser eindringt, kann sofort wieder zurückgeschickt werden. Das verhindert eine Blockade in dem Kanalsystem.
Der Ofenrohrschwamm ist nicht der einzige Schwamm, der unverdauliche Partikel über die Einströmöffnungen nach außen befördert und sich mit einer Art Niesen von ihnen befreit. Auch bei Schwämmen der Gattung Chelonaplysilla, deren Ausströmöffnungen nicht als Röhren emporragen, beobachteten Kornder und Kollegen solches Verhalten. Allerdings zeigen diese Schwämme kürzere Reinigungszyklen, und die schleimigen Transportbänder sind schwächer ausgeprägt. Wie weit die neu entdeckte Methode zur Müllabfuhr in der Tiergruppe mit der längsten Evolutionsgeschichte verbreitet ist, bleibt noch eine offene Frage.