Schwarmverhalten bei Ameisen : Das Kollektiv fackelt nicht lange
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Kommunikation ist das halbe Ameisenleben. Und deshalb werden Entscheidungen oft auch erst nach Absprachen getroffen. Bild: Science Photo Library
Ameisen sind ein gut organisiertes Volk und bei der Suche eines Quartiers manchmal sehr wählerisch. Die Begutachtung übernehmen findige Kundschafter. Die Entscheidung trifft dann schnell das Kollektiv.
Ob Geburtstagsgeschenk oder Jobsuche – sich zu entscheiden fällt besonders schwer, wenn annähernd Gleichwertiges zur Auswahl steht. Selbst unter Zeitdruck braucht man dann länger als bei qualitativ sehr unterschiedlichen Angeboten. Rational ist das nicht: Eigentlich sollte man weniger Zeit investieren, wenn sich die Optionen nur wenig unterscheiden. Schließlich sind die Konsequenzen einer Fehlentscheidung entsprechend gering. Ein Ameisenstaat scheint das zu berücksichtigen. Jedenfalls haben Wissenschaftler um Benjamin Stott von der University of Oxford beobachtetet, dass sich ganze Ameisenvölker in solchen Fällen rationaler verhalten als das von Zweifeln geplagte Individuum.
Ihr Forschungsobjekt war die Ameisen-Spezies Temnothorax albipennis. Diese nur etwa drei Millimeter großen Ameisen nisten sich mit ihren kleinen Völkern in waagerechten Felsspalten ein. Da ihnen eine Raumhöhe von einem knappen Millimeter genügt, mangelt es vielerorts nicht an passenden Quartieren. Oft erweist sich solcher Wohnraum aber als wenig dauerhaft. Zerbröckelt die steinerne Bleibe, muss sich das betroffene Ameisenvolk schleunigst eine neue suchen.
Im Labor waren die Ameisen in Bauten aus Holz und Glas einquartiert. Um sie zur Wohnungssuche zu zwingen, wurde kurzerhand das Dach von ihrer Unterkunft gehoben. Zur Wahl standen dann zwei neue Wohnungen identischen Zuschnitts: die eine schön dunkel, ganz nach dem Geschmack der Temnothorax-Ameisen, die andere entweder nur ein bisschen heller oder – für die Ameisen eher unwohnlich – strahlend hell ausgeleuchtet.
Das Kollektiv zaudert nicht lange
Wenn ein experimenteller Trick dafür sorgte, dass bloß eine einzige Ameise auf Wohnungssuche unterwegs war, reagierte das Tier wie ein Mensch in vergleichbaren Entscheidungssituationen: Es brauchte länger, um zwischen zwei ähnlich akzeptablen Optionen zu wählen. Zwischen einem guten und einem schlechten Quartier entschied sich die Ameise schneller als zwischen einem guten und einem mittelmäßigen. Ganz anders sah es aus, wenn das gesamte Ameisenvolk involviert war: Nun dauerte die Wohnungssuche deutlich weniger lange, wenn der Unterschied zwischen beiden Offerten gering ausfiel.
Dass Ameisen als Kollektiv mit ihrer Zeit vernünftiger haushalten, als wenn sie solo unterwegs sind, hängt mit den jeweiligen Entscheidungsprozessen zusammen. Auf sich allein gestellt, muss eine Ameise beide Angebote vergleichen. Erwartungsgemäß ist die Entscheidung umso schwieriger, je ähnlicher die Optionen daherkommen. Wenn ein Ameisenvolk eine neue Wohnung sucht, schwärmen normalerweise aber mehrere Kundschafterinnen aus. Sobald so eine Ameise eine potentielle Bleibe inspiziert hat, läuft sie zum Nest zurück, um anderen den Weg zu zeigen. Dabei agiert sie umso eifriger, je besser das gefundene Quartier ihren Vorstellungen entspricht.
Gewöhnlich setzen sich deshalb die meisten Ameisen für die bessere Unterkunft ein, obwohl kaum eines der Tiere beide Angebote besichtigt hat. Ehe die Entscheidung fällt, muss sich allerdings ein bestimmter Anteil des Volks an dem Auswahlprozess beteiligen. Dieses Quorum wurde schneller erreicht, wenn die beiden Optionen ähnlich attraktiv waren. Das erklärt, warum Ameisenvölker von Temnothorax albipennis dann schneller ihre Wahl treffen konnten. Ob auch andere Ameisen-Spezies solche Schwarmintelligenz einsetzen, ist noch eine offene Frage.