Biodiversität : „Nötig ist eine biologische Alphabetisierung der Gesellschaft“
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Erhaltungskulturen von gefährdeten Wildpflanzenarten im Botanischen Garten Berlin Bild: N. Köster, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin
Wie die Forschung in der Hauptstadt helfen soll, den globalen Artenschwund zu stoppen. Ein Gespräch mit dem Direktor des Botanischen Gartens Berlin, Thomas Borsch.
Herr Borsch, vom Wissensarchiv und Naturerlebnisraum zum Internationalen Wissenschaftszentrum der Botanik. Ist Ihr Zukunftskonzept für den Botanischen Garten Berlin als Beitrag zu verstehen, mithilfe verstärkter Forschung der Lösung der weltweiten Artenkrise, also gesellschaftlicher Probleme, mehr Gewicht zu verleihen?
Der Spirit, etwas bewegen zu wollen, ist bei allen Mitarbeitern in unserem Haus ganz stark. Viele jüngere Leute, die zu uns kommen, geht das einfach auch selbst immer mehr an. Denn die Zeit für den Artenschutz läuft ab. Es ist die Motivation vieler von uns, nicht nur Argumente zu liefern, warum etwas getan werden muss, sondern auch seriöse Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Ich würde die Biodiversitätsforschung mit der Medizin vergleichen. Stellen Sie sich vor, die Medizin wäre reine Humangenetik. Unmöglich. Mediziner wollen heilen, es gibt für sie ein Gesundheitsziel. Wir möchten doch alle eine gesellschaftliche Entwicklung voranbringen, die nicht länger auf Kosten der Biosphäre geht. Deshalb finde ich es legitim, wenn Taxonomen genau wie Biodiversitäts- und Evolutionsforscher aus sich herausgehen und den gesellschaftlichen Diskurs suchen.
Was ist die neue Philosophie des Botanischen Gartens?
Wir wollen zum einen Wissen über die Arten produzieren und verfügbar machen. Das hat inzwischen einen starken globalen Charakter. Wir haben viele internationale Partner, es gibt einen engen akademischen Austausch, und wir entwickeln uns heute mit dem Gedankengut, das in der UN-Biodiversitätskonvention, in den nachhaltigen Entwicklungszielen und einer globalen Gerechtigkeit verankert ist. Uns ist auch Forschung auf Augenhöhe sehr wichtig. Zum Zweiten ist für uns die Verfügbarmachung des Wissens ganz wichtig. Die Sammlungen werden digitalisiert und weltweit vernetzt. Wir liefern ganz viele Daten in die Global Biodiversity Information Facility hinein, und dieses Wissen kann als Faktenwissen von allen genutzt werden, die es brauchen, unentgeltlich und ungeschönt.
Warum sollte man botanisches Wissen schönen?
Wir erleben das in Deutschland immer wieder mit den Interessengruppen, die teils sehr unterschiedliche Nutzungspläne haben. Wie in der Klimadiskussion ist hier offenes Biodiversitätswissen notwendig, und das können wir durch den freien Zugang zu digitalisierten Daten schaffen.
Nun haben botanische Gärten traditionell auch eine starke Funktion als Erlebnis- und Ruheraum für Schüler oder Laien, wird die auch gestärkt?
Das bleibt für uns ganz entscheidend. Wir wollen die Menschen natürlich auch emotional mitnehmen. Ein botanischer Garten mit denkmalgeschützten Gebäuden ist auch ein Kunstwerk. Bei uns wird seit 120 Jahren Wissen inszeniert, das ist ein kulturhistorischer Ort, an dem man sich auch erholen und etwas entdecken kann. Heute geht es aber zusätzlich darum, das Wissen über Arten- und Umweltschutz emotional verpackt an die Menschen zu bringen, die vielleicht bisher keinen Zugang dazu haben. Alles, was wir forschen, soll möglichst schnell an die weitergegeben werden, die es zur Verbesserung der Welt nutzen möchten.
Eine Datensammlung und Biodiversitätsinformatik kann man schlecht öffentlich inszenieren. Inwiefern bringt sie die Digitalisierung als öffentlicher Garten weiter?