Wal-Forschung in Island : Jeder Wal ist anders
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Als mörderischer Killerwal wurde er gefürchtet, gehasst und gejagt: Der Orca. Jetzt erlebt das Tier einen beträchtlichen Imagewandel. Bild: AP
Seit Jahren beobachten Forscher vor Island eine Population von Orcas. Hunderte von ihnen kennen sie inzwischen persönlich. Nun hoffen sie, dass sie eines Tages auch den Isländern ans Herz wachsen.
Feiner Regen sprüht auf das Deck des Walbeobachtungsschiffs vor der isländischen Halbinsel Snæfellsnes. Reißverschlüsse werden höher gezogen, Kapuzen tiefer ins Gesicht geschoben. Eine Schar Basstölpel kündigt einen Trupp Buckelwale an, die schnaubend aus dem Wasser tauchen. Doch sie sind nicht die eigentliche Attraktion der Tour. Die Passagiere sind vor allem wegen der Orcas hier. Aufmerksam schweifen die Blicke über die grau-blauen Wellenkämme, um eine der charakteristischen schwarzen Finnen zu erspähen. Aber die Schwertwale lassen noch auf sich warten.
Kaum ein Tier hat einen derart radikalen Imagewandel durchlebt wie der Orca. Als mörderischer Killerwal wurde er gefürchtet, gehasst und gejagt. Als in den 1950er Jahren der Heringsbestand vor Island einbrach, baten die Fischer die isländische Regierung um Hilfe. Die lud daraufhin Soldaten der US Navy ein, die im Oktober 1956 in einem organisierten Massaker mehr als hundert Schwertwale mit Maschinengewehren, Raketen und Unterwasserbomben abschlachteten. Später etablierte sich in Nordamerika das Abrichten und Zurschaustellen von Orcas in Ozeanarien. Weil Walschützer jedoch zunehmend gegen den Fang weiterer Exemplare im pazifischen Raum protestierten, schauten sich die Betreiber der Meeresparks nach anderen Fanggebieten um.
Den Isländern dämmerte nach und nach, dass sich mit dem Lebendfang der Wale mehr Geld verdienen ließ als mit ihrer Tötung. Dann kam Keiko, der Hauptdarsteller des amerikanischen Familienfilms „Free Willy“. Er war in isländischen Gewässern ins Netz gegangen und dort später wieder freigelassen worden. Keiko hatte jedoch noch nie selbst Fische erbeutet und war nach Jahren der Gefangenschaft in desolatem Zustand. In Freiheit überlebte er nicht lange. Weltweit war die Trauer groß. Doch kaum war sie abgeklungen, wurde es wieder still um die isländischen Orcas. Nur einige Walforscher bemühen sich seitdem um Imagepflege für sie.
Eine davon ist Marie Mrusczok. Sie ist als Guide auf unserer Tour an Bord. Die Leipzigerin lebt seit fünf Jahren auf Island und hat sich ganz der Erforschung und dem Schutz der Meeressäuger verschrieben. Fast täglich ist Mrusczok auf dem Wasser, die meisten Wale erkennt sie auf den ersten Blick. Heute entdeckt sie einen alten Bekannten: Thor, einen männlichen Schwertwal mit markanter Rückenflosse, der sich in den Wintermonaten häufig in der Nähe der Snæfellsnes-Halbinsel zeigt.
Der Kapitän drosselt die Geschwindigkeit. Der Schiffsmotor brummt nur noch leise vor sich hin. Als Thor und drei andere Wale sich dem Schiff nähern, mischt sich ein weiteres Geräusch in den Regen. Es ist jedes Mal ein kurzes Schnaufen, wenn die Orcas ihren Blas, wie die ausgeatmete Atemluft bei Walen genannt wird, in die Luft stoßen. Immer wieder kommen sie zum Atmen an die Wasseroberfläche, um dann wieder für einige Minuten zu verschwinden.
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Mrusczok erzählt über die Bordlautsprecher, dass der Lebensraum der Orcas durch Plastikmüll und Schadstoffe, die ins Meer gelangen, gefährdet wird. Die Passagiere sollen von den Beobachtungstouren mehr mitnehmen als ein paar hübsche Urlaubserinnerungen. Wer einmal Orcas in freier Wildbahn erlebt hat, setzt sich hinterher hoffentlich auch für ihren Lebensraum ein, sagt Mrusczok. „Forschung interessiert mich nur, wenn sie etwas für den Schutz der Tiere bringt.“