Erbliche Lebenszufriedenheit : Die Glücklichen und die Gene
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Lebenszufriedenheit ist genetisch bedingt. Das beweist eine Studie von „Nature Genetics“ – aber wie ist das zu interpretieren? Bild: Picture-Alliance
Die Auswertung von Daten Hunderttausender Menschen zeigt vielfältige Verbindungen zwischen ihren Genen und ihrer Lebenszufriedenheit. Wie ist sie zu interpretieren?
Ein internationales Konsortium von 178 Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen hat genetische Daten von fast 300.000 Menschen untersucht und neue Gene entdeckt, die mit Lebenszufriedenheit und Wohlempfinden in Verbindung stehen. Die Studie, die gerade im führenden Organ „Nature Genetics“ veröffentlicht wurde, zeigt vielfältige genetische Verbindungen zwischen Lebenszufriedenheit, Depression und neurotischem Verhalten. Die jetzt identifizierten Geneffekte sind aber nur für einen Bruchteil der Erblichkeit von psychologischem Wohlbefinden verantwortlich und erklären weniger als ein Prozent der Unterschiede im Wohlbefinden in der Bevölkerung. Was kann man aus diesem Befund lernen?
Die Studie hat unter Verwendung eines genomweiten Screening-Ansatzes drei Veränderungen in der DNA-Sequenz entdeckt, die in der Normalbevölkerung häufig vorkommen und die mit subjektivem Wohlbefinden im Zusammenhang stehen. Darüber hinaus wurden über ein Dutzend weiterer DNA-Abschnitte gefunden, die mit neurotischem Verhalten und Depressionen korrelieren. Obwohl der Zusammenhang zwischen Veränderungen der DNA-Sequenz und subjektivem Wohlbefinden sich in Vorläuferstudien bereits angedeutet hatten, fehlten bisher eindeutige genetische Befunde wie sie jetzt vorliegen.
Genmuster in Familien widersprechen nicht der Individualität
Ein wichtiger Grund für das Fehlen eindeutiger Befunde waren die vergleichsweise kleinen Stichprobengrößen, die bisher untersucht wurden. Ein Großteil der genetisch erklärbaren individuellen Unterschiede der subjektiven Lebenszufriedenheit entstehen nämlich durch das Zusammenspiel Hunderter oder Tausender unterschiedlicher kleiner genetischer Veränderungen, die jede, für sich genommen, nur einen sehr kleinen Effekt ausüben. Genetiker bezeichnen menschliche Merkmale, die auf einem komplexen Zusammenspiel vieler genetischer Faktoren beruhen, als „komplex-genetische Phänotypen“. Zu denen zählen auch viele andere Ausprägungen (etwa Intelligenz oder Körpergröße) sowie auch die Disposition für verschiedene Krankheiten (etwa für Herzinfarkt oder Alzheimer). Zur Identifizierung kleiner genetischer Effektstärken, die zum Auftreten dieser komplex-genetischen Merkmale beitragen, bedarf es oft sehr umfangreicher Stichproben. Erfahrungen mit Studien aus anderen Bereichen der Genomforschung legen nahe, dass noch größere Stichproben von einer oder mehrerer Millionen Personen weitere genetische Varianten für psychologisches Wohlbefinden ergeben werden.
Die geringe Erklärungskraft einzelner Gene widerspricht nicht der oftmals hohen Erblichkeit von Persönlichkeitseigenschaften innerhalb einer Familie. Die oft verblüffenden Ähnlichkeiten innerhalb einer Familie („ganz der Opa“) geht auf den Einfluss von Tausenden, wenn nicht sogar auf Millionen genetischer Varianten zurück. Das heißt, dass die genetischen Muster, die von Eltern zu Kindern weitergegeben werden, jeweils, für sich genommen, nahezu einmalig sind. Die in Einzelfällen große Bedeutung von Genmustern innerhalb einzelner Familien widerspricht also nicht der Erfahrung der enorm großen Individualität der Menschen.