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Optogenetik : Wie das Licht seinen Weg in die Köpfe findet

  • -Aktualisiert am

Die heilende Kraft des Lichts: Auch Nervenzellen können davon profitieren, wie die Optogenetik zeigt. Bild: dpa

Eine Methode, mit der Eiweißstoffe wie Lichtschalter funktionieren: Warum der Fresenius-Preis ausgerechnet die Optogenetik auserkoren hat und die molekulare Psychiatrie würdigt.

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          Wirklich bahnbrechende Erkenntnisse haben Seltenheitswert. Auch sind sie, anders als dies etwa bei der Entdeckung des Penizillins der Fall war, nicht immer sofort als solche erkennbar. Viele Nobelpreisträger erhalten die begehrte Auszeichnung daher erst, wenn ihre Entdeckung bereits Jahre bis Jahrzehnte zurückliegt. Zu dem Zeitpunkt haben die meisten von ihnen den Zenit ihrer Schaffenskraft aber bereits überschritten. Sehr viel sinnvoller könnte es sein, jedenfalls aus Sicht der auf neue Therapien hoffenden Patienten, die besten Köpfe auf dem Gipfel der Leistungsfähigkeit zu Höchstleistungen anzuspornen. Denn damit bestünde die Aussicht, dass sich das Rad des medizinischen Fortschritts etwas schneller dreht.

          Mit diesem Ziel vor Augen vergibt die Else-Kröner-Fresenius-Stiftung alle vier Jahre einen hochdotierten Forscherpreis an einen Wissenschaftler mit dem Potential, die Medizin zu revolutionieren. In diesem Jahr kann sich der amerikanische Psychiater und Bioingenieur Karl Deisseroth von der Stanford University in La Jolla, Kalifornien, über die stattliche Preissumme von vier Millionen Euro freuen. Es ist der höchstdotierte Wissenschaftspreis. Von der internationalen Forscher-Community wird der „Methoden-Mann“, wie das renommierte Fachblatt „Nature“ den erst 46 Jahre alten Durchstarter unlängst betitelte, schon als künftiger Nobelpreisträger gehandelt. Denn die von ihm entwickelten Verfahren, darunter die Optogenetik und eine Technik namens Clarity, versetzen die Wissenschaftler in die Lage, den Hirnfunktionen mit sehr viel größerer Präzision auf den Grund zu gehen, als dies bis dahin möglich war.

          Eiweißstoffe, die wie Lichtschalter funktionieren

          Großer Beliebtheit erfreut sich insbesondere die Optogenetik, zumal sie es erlaubt, einzelne Nervenzellen mit Hilfe von Licht gezielt an- und auszuschalten. Treibende Kraft sind dabei sogenannte Rhodopsine: Eiweißstoffe, die wie Lichtschalter funktionieren und aus dem Baukasten der Natur stammen. So nutzen manche Bakterien und Algen diese auf Licht reagierenden Proteine, um sich fortzubewegen und an Futterquellen zu gelangen. Deisseroth und seinem Team ist es nun gelungen, die Miniaturschalter – genauer: die Gene mit der Bauanleitung der betreffenden Proteine – in die Hirnzellen von lebenden Mäusen zu befördern und das Verhalten der Tiere daraufhin über einen Lichtleiter mit Lichtsignalen zu manipulieren.

          In einem mittlerweile legendären Experiment ließen sie Nager, deren motorisches Zentrum sie mit den molekularen Lichtschaltern ausgestattet hatten, gleichsam auf Knopfdruck tanzen: Brachten sie die implantierte Elektrode zum Leuchten, drehten sich die Mäuse im Kreis, stellten sie das Licht wieder aus, blieben die Tiere stehen. Das war freilich nur der Anfang. Inzwischen versuchen viele Forschergruppen, die Optogenetik zu therapeutischen Zwecken zu nutzen, teilweise mit Erfolg. Bei Tieren soll es damit jedenfalls möglich sein, Lähmungen nach einem Schlaganfall zu bessern, parkinsonartige Bewegungsstörungen zu lindern, Ängste zu beheben und Süchte zu bändigen. Ob sich das Verfahren auch zur Behandlung des Menschen eignet, ist, nicht zuletzt aufgrund seiner Invasivität, noch unklar. Getestet wird ein solcher Ansatz derzeit bei Patienten mit Retinitis pigmentosa, einer seltenen Form von Erblindung. Mit gängigen gentechnischen Tricks in die Netzhaut geschleust, sollen die molekularen Lichtschalter die Aufgaben der untergegangenen Photorezeptoren übernehmen. Noch ist unklar, ob das Experiment gelingt.

          Psychische Krankheiten lassen sich mit Optogenetik nicht heilen

          Nicht alle Experten sehen in der molekularen Psychiatrie, die nach den molekularen Wurzeln psychischer Erkrankungen fahndet und auf therapeutische Verfahren wie die Optogenetik setzt, gleichwohl die ersehnte Heilsbringerin. Boris Kotchoubey vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen hält die momentane Begeisterung für diesen Forschungszweig eher für einen Hype. Laut dem Neuropsychiater und Wissenschaftsphilosophen Felix Tretter vom Bertalanffy Center for the Study of Systems Science in Wien gelingt es vermutlich eines Tages, motorische und sensorische Störungen mit Verfahren wie der Optogenetik anzugehen. Psychische Krankheiten, meint er, dürften sich hiermit allerdings kaum je beherrschen lassen. „Dazu müsste man psychologisch viel exakter klären, wie sich eine gesunde von einer kranken Psyche unterscheidet“, betont Tretter. Tiermodelle seien zur Beantwortung derartiger Fragen aber wenig geeignet, da sie die Vielschichtigkeit der menschlichen Psyche nicht abbilden könnten. „Bei der Ausbildung von psychischen Krankheiten spielen ja auch typisch menschliche Emotionen wie Schuldgefühle und Scham, aber auch das Selbstbild eine wichtige Rolle. Zudem gibt es nicht nur eine Art von Schizophrenie oder Depression, sondern viele unterschiedliche Varianten.“

          Ob nun zu Recht oder zu Unrecht: Die molekulare Psychiatrie stößt auf immenses Interesse. Davon zeugt die Flut an einschlägigen Publikationen. Auch das von der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung mit der Wahl eines aussichtsreichen Forschungsfelds beauftragte Expertengremium, dem immerhin neun Nobelpreisträger angehörten, sah in der molekularen Psychiatrie die größten Chancen auf einen Durchbruch – noch größere als in der Gewebezucht oder der Mikrobiom-Forschung, die ebenfalls in die Endrunde kamen.

          Als Wermutstropfen mag man sehen, dass die große Fördersumme der deutschen Stiftung nicht auch der hiesigen Forschung zugutekam. Dies umso mehr, als Stanford im Allgemeinen und Deisseroths Team im Besonderen aus dem Vollen schöpfen. Das Preisgeld, kündigte der Gewinner an, wolle er für ein Projekt verwenden, das sehr gewagt sein soll und kaum Aussicht auf staatliche Unterstützung hätte.

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