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Märchenforschung : Als Europa den Orient erfand

Im Animationsfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“, geschaffen 1923 bis 1926 von der Silhouettenkünstlerin Lotte Reiniger, werden mehrere Geschichten aus „1001 Nacht“ miteinander verwoben. Bild: INTERFOTO

Die Märchen aus 1001 Nacht sind aus der Weltliteratur nicht mehr wegzudenken. Ein Original hat es nie gegeben. Aber Tausend und einen Erzähler.

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          Die Not war groß, als der französische Orientalist Antoine Galland den syrischen Übersetzer Hanna Diyab traf. Galland hatte zuvor mit den ersten sieben Bänden von „1001 Nacht“ einen enormen Erfolg auf dem französischen Buchmarkt erzielt, indem er ein arabisches Manuskript aus dem 15. Jahrhundert übersetzte, das aber offenbar nur den Beginn eines größeren Werks locker miteinander verbundener Geschichten repräsentierte. Galland ergänzte es um Erzählungen aus anderen Quellen, vor allem um die Geschichten von „Sindbad, dem Seefahrer“. Nun aber fehlte es ihm an weiteren Märchen aus dem Orient. Zudem hatte sein Verleger drei Erzählungen aus einem anderen Werk ohne Gallands Wissen in den achten Band von „1001 Nacht“ eingefügt, was den Druck auf den Orientalisten weiter erhöhte.

          Tilman Spreckelsen
          Redakteur im Feuilleton.

          Dann aber machte Galland im März 1709 die Bekanntschaft des in Aleppo geborenen, etwa 25-jährigen maronitischen Christen Hanna Diyab, der in Paris lebte. Diyab diktierte ihm insgesamt vierzehn Märchen, die der dankbare Galland bearbeitete und in sein Werk aufnahm - darunter „Ali Baba und die vierzig Räuber“, „Aladdin und die Wunderlampe“ oder „Die Geschichte vom Ebenholzpferd“. Auf diese Weise fanden Geschichten Eingang in „1001 Nacht“, die bis heute unser Bild dieser Sammlung prägen, und das vermutlich mehr als manche der Erzählungen, die sich tatsächlich in arabischen Handschriften finden.

          Womit haben wir es bei „1001 Nacht“-Editionen also zu tun? Repräsentieren sie einen wie auch immer gearteten authentischen Text? Oder ist bei dieser Sammlung alles erlaubt, weil es kein Original gibt, an dem sich Editionen messen lassen müssen?

          Anfänge in vorislamischer Zeit

          Tatsächlich gab Gallands Verfahren einen Weg vor, auf dem ihm viele spätere Bearbeiter von „1001 Nacht“-Ausgaben folgen sollten. Das Jahr 1704, in dem der erste Band von „Les Mille et Une Nuits“ erschienen ist, markiert einen Wendepunkt in der Geschichte dieses Stoffes. Sie reicht weit zurück, wahrscheinlich bis zum frühen ersten Jahrtausend nach Christus, wenigstens was die Struktur der Sammlung betrifft, die wohl aus Indien stammt: Eine Rahmenhandlung enthält viele eingestreute Geschichten, die wiederum weitere Untergeschichten enthalten können, bevor sich der große Rahmen wieder schließt. Bezeugt ist im 10. Jahrhundert eine persische Fassung namens „Hasar Afsanah“, die wiederum unter dem Titel „Alf Layla“ ins Arabische übertragen worden sein soll.

          Über ihren Inhalt heißt es in einem 987 entstandenen arabischen Text, es handele von einem König, der jede Frau, die er heirate, nach der Hochzeitsnacht töten lasse. „Dann heiratete er ein Mädchen aus königlichem Geblüt, eine, die Verstand und Wissen besaß, namens Śahrazăd. Als sie mit ihm zusammen war, begann sie, ihm Abenteuergeschichten zu erzählen, und die Geschichte war am Ende der Nacht so weit gekommen, dass es den König dazu brachte, sie am Leben zu lassen und in der nächsten Nacht die Vollendung der Geschichte zu verlangen.“ Das gehe so über tausend Nächte, in denen zweihundert Geschichten erzählt würden, heißt es in der Zusammenfassung. Am Ende hat Śahrazăd ein Kind geboren und den König von seiner Blutgier geheilt.

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