Quantenbiologie : Das Leben ist ein Quantenspiel
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Der Magnetsinn vieler Zugvögel, hier des Rotkehlchen, ist eines der biologischen Phänomene, die sich möglicherweise nicht ohne Quantenphysik verstehen lassen. Bild: Getty
Biologie kommt schon lange nicht mehr ohne Physik aus. Doch nun beginnt sich auch deren seltsamstes Fach in den Lebenswissenschaften breitzumachen.
Wer vor zehn, fünfzehn Jahren die Suchmaschine seines Vertrauens mit den Begriffen „Quanten“ und „Leben“ fütterte, landete sofort mitten in der esoterischen Subkultur unserer Wissensgesellschaft. Da wurde (und wird noch immer) Quantenheilung betrieben und die Heisenbergsche Unschärferelation mit Weisheit der Schamanen verrührt. Derweil konnten seriöse Forscher schnell ihren Humor verlieren, wenn jemand Quanteneffekte in Lebendigem suchte.
Als der britische Mathematiker Roger Penrose Anfang der 1990er Jahre öffentlich darüber nachdachte, ob die Fähigkeiten des zu bewusstem Denken fähigen Menschenhirns sich nicht mit Quantenprozessen erklären ließen, schüttelten Mitglieder der Zunft die Köpfe. Quantenphysik, das mache man doch mit Lasern oder Kristallen, im Hochvakuum und bei Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt. In den warmen, schwabbeligen Materieklumpen, für die sich Biologen interessieren, dachten viele Physiker, gebe es die seltsame Mikrophysik nur versteckt als Unterbau der Chemie, darüber hinaus aber geisterten in Zellen und Enzymen keine Quanten herum.
Kann Lebendiges denn gequantelt sein?
Das hat sich geändert. Vor wenigen Wochen erschien im Fachmagazin Nature Physics ein Übersichtsartikel mit dem ernstgemeinten Titel „Quantenbiologie“. Darin wurde berichtet, wo überall heute in biologischen Systemen genuine Quantenphänomene vermutet oder sogar schon nachgewiesen wurden. Dabei wundern sich die Quantenbiologen noch immer ein wenig darüber, dass es ihr Fach überhaupt geben kann. Anders als typische Quantenphänomene wie etwa die Supraleitung laufen lebendige Prozesse bei dreihundert Grad über dem absoluten Nullpunkt ab, noch dazu in einem nassen, weichen Material, das darum als Bühne für quantenphysikalisches Geschehen denkbar ungeeignet erscheint. Denn seine dichten, komplexen und oft chaotischen Strukturen, die leicht kleinste Energiemengen aufnehmen und abgeben können, neigen dazu, etwas sehr schnell zu zerstören, was genuine Quantenzustände als solche auszeichnen: ihre Kohärenz.
Ein kohärenter Zustand (etwa eines Elektrons oder mehrerer zusammen) ist eine faktische Überlagerung von allen Zuständen, die das System theoretisch einnehmen kann. Stört man ihn nicht, entwickelt er sich nach den Gesetzen der Quantentheorie, die so manches erlauben, was nach den Regeln der klassischen Physik nicht geht, etwa zu einem Zeitpunkt nicht auf einen bestimmten Ort festgelegt zu sein, oder Barrieren zu überwinden - zu durchtunneln, wie die Physiker sagen. Nun stört aber die Präsenz wässrigen Zellplasmas oder schwabbeliger Proteinmoleküle solch einen Quantenzustand massiv. Er erleidet „Dekohärenz“, und passiert das rascher als alles andere, dann ist es um die Quantennatur des Zustandes geschehen. Die enorm kurzen Dekohärenzzeiten von längstenfalls dem Zehntel einer Billionstel Sekunde waren das wichtigste Argument, das vor allem der Astrophysiker Max Tegmark, der heute am Massachusetts Institute of Technology lehrt, seinerzeit gegen Roger Penrose vorbrachte. Die neuronalen Prozesse im Hirn brauchen im Allgemeinen Millisekunden, folglich könnten es keine Quantenprozesse sein. „Wenn Bewusstsein also irgendwas mit Neuronen zu tun hat“, sagt Tegmark, „dann bin ich kein Quantencomputer.“