Im Oktober vergangenen Jahres flüchtete Hosam Katan aus seiner Heimatstadt Aleppo nach Deutschland. Sein Weg zur Fotografie ist allein den schwierigen Verhältnissen in seinem Heimatland geschuldet. Als Autodidakt griff er im Bürgerkrieg nicht zur Waffe, sondern zu seinem Smartphone und fing an, die Trümmer seiner Heimat abzulichten. Er teilte seine Fotos in den sozialen Medien und wurde von Thomson Reuters beschäftigt. Inzwischen studiert Katan in Hannover. Im Vorfeld der ersten Internationalen Tagung zur Smartphone-Fotografie „Smart as Photography“ (3. Bis 5. November) hat Katan junge Flüchtlinge in die Techniken und Möglichkeiten der Handyfotografie eingewiesen. Die Ergebnisse des Workshops zeigt die Deutsche Gesellschaft für Photographie von diesem Donnerstag an in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen. Wir zeigen seine Aufnahmen vom Krieg und haben ihn gefragt: Hilft fotografieren, seelische Schmerzen zu verarbeiten?

Von den Straßen Aleppos
Interview von MIRAY CALISKAN, Fotos von HOSAM KATAN01.11.2016 · Als der syrische Bürgerkrieg Aleppo erreichte, griff Hosam Katan zur Kamera. Heute lebt der 22-Jährige in Deutschland und hat einen Handyfoto-Workshop der Deutschen Gesellschaft für Photographie für junge Flüchtlinge geleitet.
© Hosam Katan Ein am Kopf verletztes syrisches Mädchen
In Deutschland gibt es das Sprichwort, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagt. Gilt das auch im Krieg?
Im Vietnamkrieg wurde ein Bild zum Symbol des Krieges. Und auch im Iran hat das Bild eines toten Flüchtlings dazu geführt, dass das Leben von geflüchteten Menschen erleichtert wurde. Ich bin mir sicher, dass ein Bild, selbst wenn es nicht im politischen Sinne etwas verändert, doch auf einer menschlichen Ebene etwas bezwecken kann. Und genau das ist der Grund, wieso ich mit meiner Arbeit fortfahren werde.
Meinst du damit, dass du weiterhin Kriegsbilder machen wirst?
Natürlich. Ich bin zwar im Moment hier, um an der Universität von Hannover Fotojournalismus zu studieren, aber nachdem ich mein Studium abgeschlossen habe und sich meine Situation als Asylbewerber gefestigt hat, möchte ich weiterhin in Kriegsgebieten fotografieren. Nicht nur in Syrien. Deshalb bin ich hier, um künftig mehr machen und um mehr erreichen zu können. Ich spüre, dass ich mit meiner Arbeit als Fotograf etwas bewirke. Und vor allem bewirkt habe; als meine Fotografien vom syrischen Krieg in den Medien veröffentlicht worden sind, wurde ich von Menschen kontaktiert und gefragt, wie sie den abgelichteten Familien in Not helfen können. Der Gedanke, dass ich etwas bewegen und verändern kann, gibt mir ein gutes Gefühl.
Im Krieg hast du sehr viel gesehen: spielende Kinder zwischen Schutt und Asche, weinende Mütter, Blut und Waffen. Wenn du an die Zeit zurückdenkst, in der du in Aleppo gelebt hast, überwiegen da die guten Tage vor den schlechten?
Vor dem Krieg hatte ich glückliche Tage in Syrien. Ich habe mit meiner Familie, die heute in der Türkei lebt, und meinen Freunden auf Hochzeiten und Festen gefeiert. Natürlich kann sich keiner glücklich schätzen im Krieg gewesen zu sein. Aber ich musste irgendwas tun, um den Menschen zu helfen. Und getan habe ich das nicht nur für sie, sondern auch für mich. Ich hätte den Krieg nicht einfach an mir vorbeiziehen lassen können. Ich wollte – und ich möchte noch immer – etwas verändern.
Wieso hast du beschlossen zur Kamera zu greifen, statt zur Waffe?
Als ich mit dem Fotografieren begonnen habe, wurde ich von einem Gedanken angetrieben, nämlich gegen das Assad-Regime zu kämpfen. Da Syrien von einem Diktator beherrscht wird, arbeiten die meisten Medien zwangsläufig für die Regierung. Als ich in Aleppo mit meinen Mitmenschen gegen die Regierung protestiert habe, kam niemand von der Presse zu diesen Demonstrationen. Wahrscheinlich dachten sie sich, dass wir im Namen von Baschar al-Assad protestieren, nicht gegen ihn. Deshalb haben wir angefangen mit unseren Smartphones Bilder und Videos aufzunehmen. Es spielt keine Rolle was man zum Fotografieren benutzt. Der Sinn dahinter ist ein viel bedeutender.
Wie hast du es geschafft deine Fotografien publik zu machen?
Die Bilder, die ich mit meinem Smartphone aufgenommen habe, wurden zu Beginn nicht in der Presse veröffentlicht, sondern in den sozialen Medien. Die Nachrichtenagenturen wiederum haben diese Bilder aus Facebook, Youtube und Twitter übernommen und publiziert. Als ich dann gemerkt habe, dass meine Videos und Bilder veröffentlicht worden sind, wurde ich angetrieben. Mir wurde bewusst, dass ich mehr machen muss, weil meine Bilder die Menschen erreichten. Nach einer gewissen Zeit wurde Aleppo Media Center auf mich aufmerksam und ich habe dort angefangen zu arbeiten. In Zusammenarbeit mit anderen Journalisten habe ich erste journalistische Erfahrung gesammelt. Ende 2013 wurde ich dann von Reuters kontaktiert und gefragt, ob ich etwas Exklusives für sie machen kann, weil sie damals aktivistische Medien benötigt haben. Das habe ich dann auch getan. Schließlich wurde meine Arbeit immer professioneller, weil ich meine Ziele hartnäckig verfolgt habe.
Und doch wurdest du aufgehalten, als du letztes Jahr von einem Scharfschützen angeschossen wurdest. Aber statt zurückzuweichen, hast du deine Arbeit fortgesetzt. Wieso?
Nachdem ich verletzte wurde, lag ich knapp drei Wochen stationär im Krankenhaus. Dann war ich für vier Monate in der Türkei, bis ich entlassen wurde, um nach Aleppo zurückzukehren. So wollte ich die Stadt, die einst mein Zuhause war, nicht verlassen. Ich wollte versuchen weiterzumachen. Um ehrlich zu sein, hat genau dieses Erlebnis alles für mich verändert. Bevor ich angeschossen wurde, war es für mich gleichgültig, ob ich lebe oder tot bin. Aber zwei Monate lang auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein und nicht einmal alleine laufen zu können, erschütterte mich in meinem Tiefsten.
Trotzdem bist du zurückgekehrt.
Meine Verletzung hat mir die Augen geöffnet. Ich dachte, dass ich nach der schweren Zeit erst recht nicht aufgeben konnte. Deshalb bin ich heimgekehrt. Aber alles war härter als zuvor, denn vor meiner Verletzung hatte „nur“ das Assad-Regime die Gebiete bombardiert. Nach meiner Ankunft in Aleppo begann Russland die Stadt unter Beschuss zu nehmen. Einerseits musste man sich schützen und versuchen am Leben zu bleiben. Andererseits herrschten massive innere Probleme. Meine Arbeit setzte sich nicht nur aus den aktivistischen Medien oder der Fotografie zusammen. Ich war Teil der syrischen Revolution, die sich für Demokratie und Freiheit einsetzt. Einige islamistischen Gruppen wie die al-Qaida und der Islamische Staat waren der Meinung, dass wir keine guten Muslime sind und versuchen würden gegen den Islam vorzugehen. Da begriff ich, dass ich mein Leben nicht wie gewohnt fortsetzen kann. Mir wurde auch ganz plötzlich bewusst, dass ich als Fotograf nicht gut genug war. Ich liebe die Fotografie, deshalb beschloss ich mehr dafür zu tun. Ich habe ohne jegliche Bildung angefangen Kriegsbilder aufzunehmen. Aber genau die benötige ich für meine Zukunft. Wenn du als Autodidakt arbeitest, hast du in der Zukunft keinerlei Chancen einen akademischen Grad zu erreichen. Wenn ich in 20 Jahren immer noch mit der Fotografie weitermache, möchte ich die Möglichkeit haben, etwas anderes in dieser Richtung anzugehen. Deshalb habe ich beschlossen Syrien zu verlassen um nach Deutschland zu flüchten.
Und das hast du geschafft. Wie geht es jetzt für dich weiter?
Ich bin noch immer ein Geflüchteter. Als Flüchtling bist du leider kein freier Mensch. Da ich noch kein Asyl erhalten habe, kann ich beispielsweise nicht da wohnen, wo ich wohnen möchte und Deutschland zu verlassen kommt ebenfalls nicht in Frage. Außerdem muss ich lernen die deutsche Sprache zu beherrschen. Allerdings habe ich einige Projekte im Kopf, die ich irgendwann verwirklichen möchte.
Was waren deine Eindrücke von diesem Workshop?
Ich finde es gut, dass man solche Projekte für Flüchtlinge organisiert. Denn sie müssen aus ihrer schwierigen Situation herausgeholt werden. Das Problem dieses Workshops war, dass die Flüchtlinge hierzulande zu viele andere Probleme haben. Ernsthaftere Probleme als die Fotografie. Sie sind erst seit neun Monaten in den Heimen untergebracht, denken noch an ihre Familien, die sie zurücklassen mussten. Die meisten sind wie ich Asylbewerber und müssen vermutlich ein Dutzend anderer Dinge erledigen. Dieses Fotoprojekt wurde zwar mit guten Absichten gestartet, aber alles was wir uns ursprünglich vorgenommen hatten, konnten wir nicht umsetzen. Aber wenigstens einer hat die Grundlagen des Fotografieren lernen können. Beispielsweise wie man am Besten das Smartphone einsetzt, um gute Bilder zu schießen. Wir wollten, dass die Flüchtlinge hinausgehen und die Dinge aus anderen Perspektiven sehen. Aber wie bereits erwähnt, war der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen.
© Franz Bischof „Der Gedanke, dass ich etwas bewegen und verändern kann, gibt mir ein gutes Gefühl“, sagt Hosam Katan.
Quelle: F.A.Z.
Veröffentlicht: 01.11.2016 19:22 Uhr
