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Jakob Strobel y Serry (str.)

Essen und der Klimawandel : Bekenntnisse eines Fleischessers

Lammkeule schmeckt unserem Autoren besonders gut. Bild: obs

Ein schlechtes Gewissen beim Fleischessen? Kommt nicht infrage. Der Mensch wäre kein Mensch ohne Fleisch. Nicht das Fleisch an sich, sondern allein der Exzess seines Konsums ruiniert die Regenwälder und das Klima.

          3 Min.

          Ich liebe Fleisch, ich bin verrückt nach Fleisch, ich esse Fleisch für mein Leben gern und werde niemals darauf verzichten, auch wenn meine beiden Töchter überzeugte Vegetarierinnen glücklicherweise ohne missionarischen Eifer sind. Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen gehört der Duft der Lammkeulen, gespickt mit Knoblauch, Thymian und Rosmarin, die meine spanischen Tanten über dem offenen Feuer unseres Sommerhauses in Katalonien grillten. Zu meinen kulinarischen Offenbarungen gehörte mein erstes Bresse-Huhn, das ich mir als armer Student in Bourg-en-Bresse vom Mund absparte, um dann mit einem so unfassbar intensiven, so überwältigend delikaten Geschmack belohnt zu werden, wie ich ihn zuvor noch nie bei einem Huhn schmecken durfte. Und bis heute ist für mich ein Leben als Feinschmecker ohne Fleisch undenkbar, weil mein Himmeltellerreich auf Erden ein kurz gebratener Rehrücken mit Morcheln ist oder ein pochiertes Kalbsfilet im Kräutermantel oder ein Kotelett vom Ibérico-Schwein, das sein ganzes Leben frei wie der Wind in den Eichenhainen Andalusiens verbracht hat.

          Genau aus diesem Grund habe ich kein schlechtes Gewissen, wenn ich Fleisch esse: Ich kaufe niemals Billighack oder Tiefkühlbroiler beim Discounter, zu denen ich ohnehin aus Prinzip nicht gehe. Ich esse niemals den Plastik-Fast Food-Ramsch amerikanischer Imbissketten, verweigere mich allen Arten von Würsten aus Fleischabfällen, boykottiere die Massentierhaltung und finde die Industrialisierung der Viehzucht so verwerflich wie ihre Preise obszön. Ich bin kein Snob, sondern ein Gourmet. Deswegen esse ich Charolais-Rinder und Schwarzfederhühner, Lämmer von der Müritz und Schweine aus Jabugo, und ich gebe dafür mit Vergnügen viel Geld aus, für viele Menschen viel zu viel Geld. Doch das ist der Preis, den ich dafür zahle, dass die Tiere ein gutes Leben hatten und es mir mit ihrem wunderbaren Geschmack danken. Der hohe Preis ist für mich auch kein Ablasshandel, mit dem ich mein schlechtes Gewissen, den Tod eines Lebewesens verursacht zu haben, beruhigen müsste. Denn ich handele mit meinem Fleischkonsum – anders, als es viele Moralisten der Fleischfeindlichkeit behaupten – nicht wider die menschliche Natur.

          Ohne Fleisch wäre der Mensch gar kein Mensch. Die These ist in der Anthropologie längst fest verankert. Die enorme Energie von Fleisch und Knochenmark hat es den Menschenaffen überhaupt erst ermöglicht, ihr Gehirn so sehr zu vergrößern und weiterzuentwickeln, dass Menschen aus ihnen werden konnten. Mit schwer verdaulicher Pflanzennahrung wäre das nie gelungen. Hätten wir unsere Ernährung vor hunderttausend Jahren nicht radikal umgestellt, säßen wir immer noch in der Höhle und kauten auf Wurzeln. Fleisch aber gab und gibt uns große, leicht zu absorbierende Mengen an Proteinen, Eisen und Vitamin B und damit den entscheidenden evolutionären Vorteil, um unser Gehirn zu versorgen, das zwar nur zwei Prozent der Körpermasse ausmacht, aber zwanzig Prozent unserer Energie verbraucht.

          Natürlich sind wir heute in der Lage, Fleisch zu ersetzen, ohne unsere Ernährung und Gesundheit zu gefährden, aber ich will das nicht – und ich muss es auch nicht. Denn wir müssen etwas anderes tun: Wir müssen aufhören, jeden Tag billiges Fleisch mit dem Geschmack von Styroporverpackungen in uns hineinzustopfen und uns dabei auch noch einzureden, dass dieser Unfug ein Menschenrecht sei. Wir müssen uns endlich dafür interessieren, wie die Tiere auf unserem Teller gelebt haben und gestorben sind. Wir dürfen nicht länger tolerieren, dass Fleisch wie ein anorganisches Industrieprodukt behandelt wird – von den Großmästern ebenso wie von gedankenlosen Konsumenten. Wir müssen begreifen, dass nicht das Fleisch an sich, sondern allein der Exzess seines Konsums die Regenwälder zerstört und das Klima ruiniert.

          Wir müssen also verstehen, dass die Lösung des Problems, das falsche Fleisch zu essen, nicht lauten kann, überhaupt kein Fleisch mehr zu essen. Stattdessen müssen wir wieder lernen, wie gut gutes Fleisch schmeckt, wie zart und zugleich kraftvoll, wie fein und zugleich intensiv, wie unvergleichlich und unersetzlich. Fleisch ist ein ganz besonderes, vielleicht sogar das kostbarste, das köstlichste Geschenk der Natur an uns. Lasst es uns endlich schätzen, anstatt es zu verdammen! Lasst es uns genießen!

          Unser Autor Benjamin Fischer ist Vegetarier und schreibt hier, dass es nicht schwer ist, auf Fleisch zu verzichten.

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          Jakob Strobel y Serra
          Redakteur im Feuilleton, zuständig für das „Reiseblatt“.

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