Vogelgrippe : „Immunität ist die Hoffnung“
- -Aktualisiert am
Die Helgoländer Baßtölpelkolonie hat im vergangenen Sommer arg gelitten. Bild: dpa
Tausende Seevögel sind in der vergangenen Brutsaison gestorben. Ein Ornithologe erklärt, warum er hofft, dass das Sterben im nächsten Frühsommer nicht weitergeht. Er hat Anhaltspunkte für ein wenig Hoffnung.
Wolfgang Fiedler ist Ornithologe am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. Er erforscht seit Jahren das Zugverhalten von Wildvögeln – und seine Folgen. Die Vogelgrippe ist dabei häufig ein Thema, denn der Erreger wird im Herbst mit Gänsen, Enten und anderen Vögeln die aus dem Nordosten über Deutschland hinweg in den Süden ziehen, weit verbreitet. Die ungewöhnlich lange andauernde Infektionswelle im vergangenen Jahr hat ihn überrascht. Er erklärt, warum darin aber auch ein Funken Hoffnung liegt.
Im Sommer haben leere Nester von Basstölpeln und verendete Seeschwalben für Aufsehen gesorgt. Die Vogelgrippe hatte zugeschlagen. Wie ist die Situation derzeit?
Im Moment ist es bei den Wildvögeln ruhiger, es gibt derzeit keinen größeren Ausbruch im Binnenland. Auch an der Nordseeküste ist die Epidemie etwas abgeflaut. Aber Schätzungen zufolge sind Tausende Seevögel ums Leben gekommen, der Ausbruch war stärker als die bisher schlimmsten Ausbrüche in den Jahren 2005/2006 und 2015/2016. Und er betraf mit den Seeschwalben auch Arten, die sich in Nordeuropa bislang kaum infiziert hatten. Die aktuelle Infektionswelle stellt alles Bisherige in den Schatten.
Woran liegt das?
Wie bei den vorherigen Ausbrüchen werden vor allem Wasservögel Opfer der Vogelgrippe, was wohl daran liegt, dass das Virus sich gut in feuchtem Milieu verbreitet und Wasservögel gerade in der Zugsaison an den Rastplätzen in Teichen und anderen Gewässern eng zusammenkommen. Über Enten, die kaum erkranken, wird es wahrscheinlich weitergetragen. H5N1 hat aus bislang ungeklärten Gründen dieses Jahr aber keine Sommerpause eingelegt, und so konnte es auch in Brutkolonien wüten. Zudem ist es offenbar gefährlicher und leichter übertragbar als Vorgängervarianten.
Warum sind Stockenten oder deren Verwandte mögliche Überträger?
Sie haben ein sehr robustes Immunsystem – das mag daran liegen, dass sie sich im Laufe der Evolution an ein Leben in schlammigen, bakterien- und virenreichen Habitaten angepasst haben. Sie gründeln nach ihrer Nahrung und fliegen zudem weite Strecken. Für die Vogelgrippe sind sie ein gutes Vehikel.
Ist die Vogelgrippe auch für Singvögel gefährlich?
Das weiß man nicht. Man findet eine tote Amsel oder Meise selten. Aber da die meisten Singvögel nicht mit großen Wasservogelschwärmen zusammenkommen und auch nicht an Feuchtgebieten rasten, sind sie von ihrem Verhalten her schon eher geschützt. Vermutlich sind sie aber auch robust. Von aasfressenden Vögeln sind übrigens Infektionen bekannt, aber das verwundert nicht – sie fressen ja unter anderem auch an der Vogelgrippe verendete Vögel. Sie scheinen das Virus aber kaum weiterzugeben.
Klassischerweise werden Zugvögel für die Ausbreitung des Erregers bei Mast- und Zuchtgeflügel verantwortlich gemacht. Gerade ist aber gar keine Zugsaison, und dennoch müssen fast täglich Hühnchen und Puten gekeult werden.
Das Friedrich-Loeffler-Institut auf Riems und andere Forschungsinstitute analysieren immer wieder stichprobenartig die Infektionsketten bei großen Ausbrüchen. Manchmal ist es tatsächlich so, dass der Eintrag am wahrscheinlichsten durch einen Wildvogel erfolgte.
Wenn sich etwa eine infizierte Ente in den Freilaufbereich einer Hühnerzucht verirrt?
Ja. Aber das passiert selten. Eher trägt ein Geflügelwirt trotz aller Hygienebestimmungen das Virus selbst in den Stall, durch Verschmutzungen der Kleidung oder Schuhe. Das Virus kann auch mit dem Futter oder auf andere Art eingetragen werden. Es wurde auch beschrieben, dass das Virus von den Ställen aus in Wildvogelpopulationen gebracht wurde. Das Virus nutzt keine Einbahnstraße.
Viele Vögel befinden sich gerade in den Überwinterungsgebieten in Afrika oder auch in Israel. Gibt dort auch Ausbrüche?
Im vergangenen Jahr gab es viele tote Vögel im Hula-Tal in Israel. Aus diesem Jahr ist noch nichts bekannt geworden. In Afrika wird praktisch kein Monitoring durchgeführt, da wissen wir nichts.
Die Vogelgrippe hatte im vergangenen Jahr erstmals während der Brutsaison die Insel Helgoland erreicht – und dort in der etwa 1300 Brutpaare großen Basstölpelkolonie arg gewütet. Gut 500 ausgewachsene Vögel und viele Küken verendeten. Kann eine Kolonie das überstehen?
Wir hoffen auf die Immunität und darauf, dass viele der Vögel, die im vergangenen Jahr nicht gebrütet haben – davon gibt es bei Seevögeln immer welche –, die Lücken füllen werden. Sobald die Brutsaison im April, Mai beginnt, wissen wir mehr.
Glauben Sie, dass sich das Virus im vergangenen Jahr so schnell und weit verbreitet hat, dass sich bei den überlebenden Wildvögeln generell eine Herdenimmunität gibt?
Immunität ist unsere große Hoffnung. Bei den Basstölpeln könnte es sein, dass die Überlebenden resistent sind und das Virus nicht auf die Tiere übertragen wurde, die bislang noch keinen Kontakt hatten. Bei Schwänen am Bodensee wurde bereits eine Studie zu diesem Thema durchgeführt: Bei den Jungtieren, die im Sommer geschlüpft sind, fanden sich im ersten Herbst kaum Antikörper gegen harmlose Formen der Vogelgrippe – bei älteren Schwänen hingegen schon. Das bedeutet, dass jeder Schwan im Laufe seines Lebens mit dem Grippevirus in Kontakt kommt. Sind diese Influenzavarianten harmlos, kann der Vogel eine Immunität aufbauen, die ihn dann vor gefährlicheren Varianten schützt. Viele Wasservögel sollten also grundsätzlich gerüstet sein.