Künstliche Intelligenz - Hype? : Die Schnittstelle im Kopf
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Zusammengefasst verlangt man von einem funktionstüchtigen mathematischen Modell, dass die gewählten und messbaren Zustandsgrößen relevant sind. Außerdem darf man keine Einflussgrößen vergessen. Sie müssen vollständig sein. Und es ist notwendig, dass sie mit hinreichender Genauigkeit messbar sind. Genügen die bekannten mathematischen Neuronenmodelle diesen Vorgaben? Eher nicht. Die Wirklichkeit ist wesentlich komplizierter als in den mathematischen Modellen dargestellt. Damit relativiert sich deren Erkenntniswert. Dieser Umstand wirft ein bezeichnendes Licht auf das Human Brain-Project, das kein geringeres Ziel hat, als das gesamte menschliche Nervennetzwerk zu analysieren, um es dann mittels eines Computers zu simulieren. Ein bemerkenswerter Anspruch. Eigentlich müssten die Erfahrungen, die man mit dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans gemacht hat, zur Bescheidenheit führen. Das Nervennetz dieses unscheinbaren Tierchens ist das bisher einzige, das vollständig kartiert ist. Von seinen 302 Neuronen ist genau bekannt, wie sie untereinander verdrahtet sind. Aber sind wir deshalb in der Lage, das Verhalten dieses primitiven Tieres vorherzusagen? Nicht wirklich. Die Simulationsergebnisse bleiben hinter den Erwartungen zurück. Aus dem Wissen, wie etwas verbunden ist, folgt eben nicht, wie es funktioniert. Wenn man sich das Streckennetz der Deutschen Bahn anschaut, weiß man auch nicht, wie die Züge fahren. Um das zu wissen, braucht man noch andere Informationen, etwa die Dynamik der Weichen. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Wenn die Dynamik der Schaltstellen nicht genau bekannt ist, sind Vorhersagen über die zeitliche Entwicklung sinnlos. Deshalb ist man erstaunt, wenn die „Simulation“ einer kortikalen Säule von den beteiligten Forschern als großer Erfolg gefeiert wird, wobei dann schüchtern darauf hingewiesen wird, dass man die synaptische Plastizität im Modell noch nicht berücksichtigt hat.
Aber man kann bei Modellierungen des Gehirns noch weiter in die Irre gehen. Das tun die Jünger, die glauben, ihre Seele ließe sich einem Roboter implementieren und deshalb würden sie ewig leben. Auch hier ist der von Computern rekonstruierte Verschaltungsplan des toten Gehirns für dessen Funktionieren nicht entscheidend. Und selbst wenn man aus den mikrometerfeinen Schnitten des Gehirns herauslesen könnte, wie die Synapsen im Moment des Todes funktioniert haben, was spekulativ ist, so reicht auch dieses Wissen nicht, um auf die Funktionsweise des Gehirns zu schließen. Das ist ein bisschen so, als wenn man im Kino mit Blitzlicht einen Film abfotografiert, um dann aus diesem Schnappschuss dessen Verlauf vorherzusagen.
Es wird in diesem Zusammenhang außer Acht gelassen, dass das Gehirn ein extrem dynamisches System ist. Es verändert sich in jeder Sekunde seiner Existenz. Diese Veränderungen sind zum Teil rückbezüglichen Schleifen geschuldet, da sich das Gehirn viel mit sich selbst beschäftigt. Sie verdanken sich aber auch den Wechselwirkungen mit der äußeren Welt. Und ein wichtiges Tor zur Welt ist der menschliche Körper. Dieser Punkt ist zentral. Ohne die vollständige Kenntnis des Körpers lässt sich das Gehirn nicht verstehen. Betrachten wir zur Verdeutlichung die menschliche Hand. Bei jeder Bewegung, die wir mit unseren Händen ausführen, gehen nicht nur Steuerbefehle vom Hirn zur Hand, sondern auch unzählige sensorische Rückmeldungen von der Hand zum Hirn. Deshalb gibt es im Gehirn neben motorischen Karten eben auch sensorische. In diesen sensomotorischen Karten sind nun allerdings auch die individuellen anatomischen, morphologischen und physiologischen Besonderheiten unseres Körpers kodiert. Sollten Sie eine Hand bei einem Unfall verlieren und eine Spenderhand erhalten, die kleiner und leichter ist, andere Drehmomente, Hebel und Gelenkwinkel hat, dann verändert sich zwangsläufig die neuronale Kartierung ihrer Hand in ihrem Gehirn und damit verbunden auch ihre Selbstwahrnehmung. Vermutlich ist das einer der Gründe, weshalb Handtransplantierte starken psychischen Belastungen ausgesetzt sind und ihre neuen Hände teilweise ablehnen.