Fragwürdige Selbstzitierung : Bescheidenheit ist auch unter Forschern eine Zier
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Ist es selbstverliebt, als Wissenschaftler die eigenen Forschungsarbeiten zu zitieren? Bild: Picture-Alliance
Wissenschaftliche Leistungen werden üblicherweise von Fachkollegen beurteilt. Viele Forscher zitieren sich aber auch gerne selbst. Ist das schicklich und ab welchem Ausmaß wird es anmaßend?
Das Verbot des Eigenlobs und des gegenseitigen Sichhochlobens unter Freunden ist eine elementare soziale Errungenschaft. Es erzieht den Achtungsinteressenten dazu, sich nach den Achtungsbedingungen größerer Gruppen zu richten. So kann seine Eigenliebe in den Dienst sozialer Ziele treten. Auch der Erwerb wissenschaftlichen Ansehens unterliegt solchen Selbstbefriedigungsverboten. So darf der Wissenschaftler seine Aufsätze nicht einfach selbst für druckreif erklären, er muss die Entscheidung darüber einer Fachzeitschrift überlassen.
Ähnlich wird ihm das Urteil über die Qualität seiner Buchpublikationen von anderen abgenommen, und wenn er sich für ausgeschriebene Stellen bewirbt, dann ist es die Sache einer Berufungskommission, seine fachliche und persönliche Eignung für die Position zu beurteilen. Bei all diesen Gelegenheiten hat er bescheiden aufzutreten, und zwar deshalb, weil alles andere, wie seine Gutachter finden, ihrem eigenen Urteil vorgreifen würde. Er darf also seinen Wert erkennen lassen, nicht aber das Bewusstsein seines Wertes. Und wenn er trotzdem so auftritt, als hätte er ein Angebot, das man nicht ablehnen kann, dann verfällt er der Ablehnung ebendeshalb.
Sind Eigenzitate unvermeidlich?
In dieser Ordnung des verbotenen Eigenlobs gibt es indessen eine Lücke, und das sind die Selbstzitate. Das Verbot kann hier nicht so weit gehen, dass jede Erwähnung der eigenen Schriften verboten wird. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass die Fachleute eines bestimmten Themas, wenn sie die dafür relevante Literatur anführen, auch auf eigene Publikationen stoßen, und natürlich müssen sie diese dann auch angeben dürfen. Auf Eigenlob zu verzichten kann hier nur bedeuten, dass man die Anzahl der Selbstzitate auf das Unvermeidliche beschränkt und dass man es bei dem Hinweis auf die Publikation belässt, ohne sie als wissenschaftliche Großtat zu rühmen.
Sollte es einmal notwendig werden, die eigene Leistung auch inhaltlich zu charakterisieren, dann hat man sie als einen Versuch zu bezeichnen, und sollte es Kollegen geben, die ihn für misslungen halten, dann wären sie bei dieser Gelegenheit ebenfalls zu erwähnen. Eigenlob durch Selbstzitate ist leicht zu erkennen. Dies allerdings nur, wenn man das Zitat auch wirklich liest. Was passieren kann, wenn die Zitate von den Rechnern der großen Datenbanken einfach nur gezählt werden, zeigt eine unlängst publizierte Untersuchung.
Meistzitiert, und zwar von sich selbst
Der Name Sundarapandian Vaidyanathan taucht in den heutigen Hitparaden der meistzitierten Wissenschaftler ganz oben auf. Das ist aber kein Zeichen dafür, dass die Publikationen dieses indischen Computerwissenschaftlers einen erheblichen Einfluss auf die Forschungen seines Faches hätten. Denn nicht weniger als 94 Prozent dieser Erwähnungen stammen von ihm selbst oder von einem seiner Koautoren. Dies geht aus dem Nebenertrag einer Studie hervor, die der in Stanford lehrende Gesundheitswissenschaftler John Ioannidis durchgeführt hat – in Deutschland auch als Kritiker an den wissenschaftlichen Grundlagen der Anti-Corona-Politik bekannt. Unter den 100.000 Forschern sehr verschiedener Disziplinen, die der Datensatz seines Forscherteams erfasste, fanden sich immerhin 250, die mehr als die Hälfte der ihnen geltenden Zitate in derselben Weise erworben hatten wie jener Mann aus Indien, dem in seiner Heimat übrigens schon Preise für wissenschaftliche „Exzellenz“ verliehen wurden, empfangen aus Ministerhand.
Der durchschnittliche Anteil an Selbstzitaten lag übrigens bei gerade mal 12,5 Prozent. Inzwischen gibt es Datenbanken wie Scopus oder Web of Science, in denen man prüfen kann, wie oft ein Wissenschaftler sich selbst zitiert, und Ioannidis rät dazu, sie zu konsultieren. Bei einem „Eigenanteil“ von mehr als 25 Prozent, so seine Faustregel, sollte man noch einmal genauer nachsehen, ehe man eine Professur vergibt oder einen Preis verleiht. Kritiker dieser Empfehlung, die von der Zeitschrift „Nature“ befragt wurden, haben zwei Gegenargumente formuliert. Das eine lautet, dass es kein allgemeines Maß für erlaubte Selbstzitate geben könne. Deren Anteil sei bei jungen und unbekannten Autoren naturgemäß höher als bei den älteren und bekannten, und außerdem gebe es auch Fachgebiete, an deren Publikationen Hunderte von Autoren beteiligt seien, und dort liege der Anteil an zitierenden Koautoren zwangsläufig höher als in anderen Disziplinen. Solche Mängel könnte man immerhin durch Hinzufügung von Informationen über den fach- oder alterstypischen Durchschnittswert beheben.
Das zweite Gegenargument ist nicht technisch, sondern grundsätzlich. Die Neigung zur Selbstaufwertung durch Selbstzitat sei ihrerseits ein Effekt davon, dass man überhaupt bereit sei, Entscheidungen über Professuren oder Preise von zweifelhaften Messungen abhängig zu machen, und statt einfach die Messverfahren zu verbessern, sollte man ihren Einfluss auf die Entscheidungsprozesse zurückdrängen.
J. P. A. Ioannidis et al., A standardized citation metrics author database annotated for scientific field, online zugänglich unter: https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000384