Gesellschaftsexperiment : Ethik mit Kichererbsen
- -Aktualisiert am
Mit Kichererbsen die menschliche Moral und Ethik erforschen. Bild: dpa
Ist den Menschen Gewinn wichtiger als die Moral? Diese Frage stellt sich vor allem im Kampf gegen den Klimawandel immer wieder. Ein Versuch mit Kichererbsen hat Wissenschaftlern nun wichtige Erkenntnisse geliefert.
Kann man die Existenz eines moralischen Verantwortungsbewusstseins beweisen? Das mag jetzt wieder nach einem sehr akademischen Problem klingen - dass Menschen moralisch handeln, ist schließlich ein recht alltägliches Phänomen. Dass die Moral ein probates Mittel ist, gewünschte Handlungen wahrscheinlicher zu machen als unerwünschte, mag unbestreitbar sein. Aber wie ist es mit den Alternativen zur Moral? Als Beispiel kann der Umweltschutz helfen: Dem sei am besten geholfen, wenn man statt auf Moral auf Marktanreize setze, um ein bestimmtes ökologisches Verhalten zu fördern. Wo es nur auf das Ergebnis ankomme (etwa den Schutz der Umwelt), sei es zweitrangig, wie man es erreiche. Und sei es durch einen Appell an den Eigennutz. Volkswirtschaftler argumentieren gerne so, weil sie auf die Annahme moralischer Grundsätze in ihren Modellen lieber verzichten wollen. Da ist es überraschend, wenn sich jemand aus der Marktforschung die Mühe macht, diesem ominösen Moralbewusstsein experimentell auf die Spur zu kommen.
Am Berliner Wissenschaftszentrum wurde genau das kürzlich mit Kichererbsen versucht. Zweck des Experiments war es,herauszufinden, wer sich in einem klaren Konflikt von Gewinnmaximierung und Moral für Letztere entscheiden würde. Die Versuchsteilnehmer wurden zunächst in Gruppen von je zwei Personen aufgeteilt, die in einer ersten Runde des Experiments getrennt voneinander bestimmte Aufgaben zu lösen hatten. Je rascher sie diese lösten, desto höher war hinterher der gemeinsame Gewinn, der den Probanden dann auch ausgezahlt werden sollte. Während Proband A es mit einfachen Rechenaufgaben am Computer zu tun hatte, musste Proband B ein Geschicklichkeitsspiel absolvieren: Man sollte Kichererbsen in ein Gefäß werfen. Auch dafür gab es finanzielle Erfolgsprämien. Entscheidend daran war nun weniger der Erfolg beim Spiel als dessen Folgen: Natürlich fielen die meisten Erbsen daneben und verteilten sich im Raum. Das war die erste Runde.
Kichererbsen im Zimmer
Dann wurde den beiden Probanden mitgeteilt, wie viel sie bisher gemeinsam erspielt hatten. Zu Beginn der zweiten Runde wurde Proband B zurückgeführt in das von ihm mit Kichererbsen „vermüllte“ Zimmer. Man sagte ihm, er müsse jetzt die gleichen Rechenaufgaben wie vorher A lösen. Zunächst aber müsse jemand die von ihm verursachte „Sauerei“ aufräumen, sonst würde der gesamte Gewinn verfallen. Sollte er das Zimmer nicht selbst aufräumen, müsste es danach A machen, bevor der sich an den Computer setzen könnte. Beide müssten sich aber beeilen, denn die für das Aufräumen benötigte Zeit würde ihnen beim anschließenden Spiel am Computer fehlen. Je schneller das Aufräumen, desto höher also der gemeinsame Gewinn am Ende des Spiels. Dieser sollte abschließend geteilt werden, und zwar unabhängig davon, wer mehr oder weniger zum Gesamtgewinn beigetragen hatte.
Wäre es bei dieser Versuchsanordnung geblieben, wäre es egal gewesen, wer von beiden aufgeräumt hätte. Die nach dem Zufallsprinzip gruppierten Probanden kannten sich vor dem Experiment nicht, sie konnten also nicht wissen, ob der andere vielleicht besonders geschickt ist beim Einsammeln von Kichererbsen. Die Forscher fügten aber eine Zusatzbedingung in das Design des Versuchs ein, die einen entscheidenden Unterschied brachte: Proband B, also dem Verursacher des Erbsenmülls, wurde mitgeteilt, er bekomme in der zweiten Runde des Experiments doppelt so viel Geld für jede gelöste Aufgabe am Computer als sein Partner A. Würde B also zunächst einmal Zeit verschwenden mit dem Einsammeln der Erbsen, machten die beiden auf jeden Fall einen finanziellen Verlust. Sollte B jedoch das Aufräumen A überlassen, würde am Ende für beide mehr herausspringen. Damit stand B vor der Frage, was ihm wichtiger war: sein moralisches Verantwortungsgefühl für die von ihm verursachte „Umweltschädigung“ oder sein Interesse an einer möglichst hohen Vergütung für die Teilnahme an dem Experiment. Natürlich schloss sich dem Experiment noch eine Befragung der Teilnehmer an. Wer entschied sich für die Moral, wer fürs Geld? Was schätzen Sie? Wie viel der Probanden B räumten ihre Erbsen selbst auf, auch wenn sie dafür einen Verlust machten: 10, 40 oder 60 Prozent?
Es waren tatsächlich 60 Prozent der Verursacher, die das Aufräumen selbst besorgten, anstatt es aus Gründen der Gewinnmaximierung an ihren Versuchspartner A zu delegierten. Und das waren auch jene, die in der Befragung dem Satz zustimmten, dass die individuelle Verantwortung beim Kampf gegen den Klimawandel eine besonders wichtige Rolle spiele. Die gesellschaftliche Bedeutung der Resultate des Experiments ist also durchaus nachvollziehbar. Ob es sich bei diesem Verantwortungsgefühl aber um eine soziale Norm, eine sittliche Verpflichtung oder doch nur eine bloße Konvention handelt, bliebe aber noch zu erforschen, so die Autoren der Studie.
Michael Jakob, Dorothea Kübler, Jan Christoph Steckel, Roel van Veldhuizen: Clean up your own mess: An experimental study of moral responsibility and efficiency. WZB-Discussion-Paper SP II 2016-215.