Politisierung von Expertise? In der Pandemie auf jeden Fall!
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Am 22. Januar 2021 traten Lothar Wieler und Christian Drosten gemeinsam vor der Bundespressekonferenz auf. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts konnte seine Mitgliedschaft in der Leopoldina nicht an der Garderobe abgeben. Bild: Imago
Der Historiker Caspar Hirschi warnt beharrlich vor dem politischen Missbrauch virologischer Expertise. Er betreibt die Skandalisierung, die er selbst erforscht hat. Seine Argumentation weist Lücken auf.
In der Debatte um die Pandemiepolitik ist der Verdacht der Hofberichterstattung, den die Massenmedien an die eigene Adresse richten, zu einem durchgängigen Motiv geworden. Eine originelle These in diesem Zusammenhang hat der Historiker Caspar Hirschi an verschiedenen Orten, darunter auch in der F.A.Z., entwickelt und zuletzt in einem Vortrag auf einer Veranstaltung der Rudolf-Augstein-Stiftung zugespitzt, der in der Wochenzeitung „Freitag“ abgedruckt wurde. Für Hirschi ist die „Totalisierung der Expertenrolle“ wesentliche Triebfeder der Vereinseitigung des öffentlichen Diskurses. Der Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität St. Gallen ist für das Thema als Verfasser des Buches „Skandalexperten, Expertenskandale. Zur Geschichte eines Gegenwartsproblems“ ausgewiesen. Leider ist die seiner These zugrundeliegende Argumentation an mehreren Punkten inkohärent. Hirschis Fokus auf das vermeintliche kommunikative Fehlverhalten der Produzenten „engagierter Expertise“, die als „Regierungspropaganda“ genutzt werde, lenkt auch von der schwachen politischen Argumentation der Maßnahmenkritiker ab.
Das Kernargument Hirschis ist prägnant: Experten überschritten ihre eigentliche Funktion, die Bereitstellung von wissenschaftlichem Wissen als politischer Entscheidungsgrundlage. Statt sich darauf zu beschränken, nährten sie die Illusion, aus ihren Schlüssen ließen sich eindeutige politische Forderungen ableiten. Zudem trügen sie den Kampf um die wissenschaftliche Deutungshoheit auch massenmedial aus. Dadurch gehe das Wissen um den kategorialen Unterschied von wissenschaftlichem Wissen und Werten, über die politisch gestritten werden müsse, verloren. Damit verknüpft schwinde jedoch auch das Bewusstsein, dass man über Politik streiten könne, wenn man wissenschaftlich einer Meinung sei. Dies führe zu einer „intoleranten Bitterkeit“, sodass Maßnahmenkritiker als Coronaleugner diffamiert würden und sich auch deswegen radikalisierten.
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