Corona und die Gesellschaft : Gut geht’s, aber die Familie nervt
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Robert Burck, der nackte Cowboy, gehört zum Straßenbild von New York, das besonders hart von der Corona-Pandemie betroffen ist. Bild: AP
Zur Frage, was die Corona-Pandemie mit unserer Gesellschaft macht, gibt es jetzt erste belastbare Daten. Die Ergebnisse der Erhebung sind überraschend.
Wie wird Corona unsere Gesellschaft verändern? Wird die soziale Ungleichheit zunehmen? Und wird die Krise die Einstellungen und Werte der Menschen verändern? Mal abgesehen davon, dass es für viele Antworten auf solche Fragen einfach zu früh ist: Für die soziologische Forschung stellt sich hier zusätzlich das methodische Problem der Vergleichbarkeit.
Wer jetzt Umfragen zu Einstellungsveränderungen durchführt, müsste nachweisen können, dass sich diese Einstellungen der Befragten durch Corona geändert haben. Dazu müsste man diese Personen aber schon vor der Virus-Krise zu denselben Einstellungen befragt haben. Ein Forscherteam des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und der Universität Bielefeld hat jetzt erste vorläufige Ergebnisse einer Studie vorgelegt, die mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) diese Vergleichbarkeit leisten konnte.
Stefan Liebig vom DIW und Simon Kühne aus Bielefeld haben erste Befunde ihrer „SOEP-CoV“ genannten Studie jüngst in einem digitalen Kolloquium präsentiert, das bereits mit einer ganzen Reihe sehr hörenswerter Beiträge aktuelle soziologische Perspektiven auf die Corona-Krise bietet. Liebig und Kühne konnten mit ihren Mitarbeitern aus den rund 30.000 Personen, die im SOEP seit 1984 jährlich befragt werden, eine Stichprobe ziehen, die Ende 2021 Daten von fast 8000 Teilnehmern enthalten soll. Seit dem 1. April werden diese zu ihren Erfahrungen mit Corona befragt. Schon jetzt ist erkennbar, dass die Pandemie zu ganz erheblichen Veränderungen in den Einstellungen der Deutschen geführt hat.
Etwa beim Thema Sorgen: Bei der letzten Erhebung des SOEP vergangenes Jahr war zu erkennen, dass sich die Menschen die geringsten Sorgen um ihre eigene wirtschaftliche Lage machten, sich aber deutlich mehr um die allgemeine wirtschaftliche Situation sorgten. Die größte Sorge allerdings galt dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Jetzt, nach dem Beginn der Krise, haben die Deutschen plötzlich ganz andere Sorgen: Die Sorge um die eigene wirtschaftliche Situation ist eher stabil niedrig geblieben, während die Sorge um die allgemeine wirtschaftliche Lage dramatisch gestiegen ist. Erstaunlicherweise ist aber die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt seit April dramatisch zurückgegangen, die Menschen sehen in der Pandemie also ein Geschehen, das den sozialen Zusammenhalt stärken könnte, so Liebig und Kühne.
Die Corona-Pandemie trifft nicht alle gleich
Es gibt hier aber eine bemerkenswerte Einschränkung: Die Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage ist nicht überall stabil niedrig geblieben. Das gelte nur für die Befragten in den unteren Einkommensschichten. In den wohlhabenderen Haushalten sei dagegen auch die Sorge um die eigene wirtschaftliche Situation wegen Corona gestiegen. Man könnte also sagen: Wer mehr zu verlieren hat, der hat mehr Angst vor der Zukunft als jener, der ohnehin nicht viel besitzt und dessen Leben auch bisher schon von größerer Unsicherheit geprägt war. Verschärft Corona also den Fatalismus der Unterschicht? Oder ist es vielleicht eher umgekehrt, dass also das Vertrauen in die Stabilität der persönlichen Netzwerke in den unteren Schichten der Bevölkerung größer ist als oben?
Die Forscher fragten auch nach der persönlichen Zufriedenheit vor und seit der Pandemie. Auch hier ist es demnach zu einer überraschenden Angleichung gekommen: Waren die Befragten bisher am zufriedensten mit ihrem Familienleben, ist es gerade hier zu einem Absturz der Zufriedenheit gekommen, während umgekehrt die Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit einen ebenso deutlichen Zuwachs erlebt. Und das nur am Rande: Die SOEP-CoV konnte sogar feststellen, dass die Deutschen in der Corona-Krise besser schlafen! Man scheint sich also plötzlich selbst sehr viel gesunder zu fühlen – und das mitten in einer Pandemie, während man sich gleichzeitig in der Familie immer unwohler fühlt. Dass das vor allem weibliche Befragte betreffe, so Kühne und Kroh, ist sicher nicht überraschend, tragen sie in den Familien doch die Hauptlast der Krisenbewältigung.
Auch Karl Ulrich Mayer sprach sich in seinem Beitrag zu der Vortragsreihe entschieden gegen die Annahme oder gar Hoffnung aus, Corona werde wie ein großer sozialer Gleichmacher wirken. Er sah den wichtigsten Beitrag der Soziologie zur wissenschaftlichen Aufklärung über die Pandemie darin, den Zusammenhang von Risikogruppen und der gegebenen sozialen Ungleichheit zu verdeutlichen. Als Beispiel dafür verwies Mayer auf die Vereinigten Staaten: Die Bilder aus New York sollten uns nicht täuschen, denn was sie nicht zeigten, sei die ethnische Zusammensetzung sowohl der Corona-Infizierten als auch der Toten. Die schwarze Bevölkerung sei nämlich in beiden Gruppen doppelt so stark vertreten wie die Weißen, obwohl sie nur etwa 13 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Wer also behauptet, die Corona-Krise träfe „uns alle“ doch irgendwie gleich, muss gegenüber der sozialen Ungleichheit der Gesellschaft schon erstaunlich blind sein.
Literaturangabe
Stefan Liebig, Simon Kühne: Die Corona-Pandemie als kritisches Ereignis im Lebensverlauf – Design und erste Ergebnisse der SOEP-CoV-Studie. Vortrag in der Seminarreihe „Soziologische Perspektiven auf die Corona-Krise“ des WZB Berlin, April 2020.